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Das dritte Auge – Ultraschall in der Handchirurgie

Komplexe Handverletzungen, zum Beispiel nach Arbeits-oder Sport-unfällen oder klassische Krankheitsbilder wie die Sehnenscheidenentzündungen – bei Professor Esther Vögelin dreht sich alles um die Hand und die peripheren Nerven.

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Prof. Esther Vögelin, Chefärztin und Co-Direktorin der Universitätsklinik für plastische und Handchirurgie in Bern.

Als Chefärztin für Handchirurgie und Chirurgie der peripheren Nerven am Inselspital in Bern ist sie fasziniert von der einmaligen Anatomie und Funktionalität dieses für uns im weitesten Sinne fundamental wichtigen Werkzeugs. Die komplexe Anatomie der Hand mit ihren oberflächlich gelegenen Strukturen bietet beste Voraussetzungen für den vielfältigen Einsatz des Ultraschalls zur Differenzialdiagnostik.

Form follows function

„Im Fokus steht für mich nach einer Verletzung vor allem der Erhalt oder die Wiederherstellung einer bestmöglichen Funktionalität und Ästhetik der Hand“, fasst Vögelin ihr Anliegen zusammen. Die Liste der zu behandelnden Fälle im Berner Universitätsspital ist lang: Schmerzzustände ungeklärter Genese, Karpaltunnelsyndrom, Ringbandganglien, Unfallfolgen, frische Verletzungen – bei Letzteren können mehrere Strukturen beteiligt sein, also Knochen, Gelenke, Sehnen, Gefäße, Nerven und auch die Haut.

Das dritte Auge – Ultraschall in der Handchirurgie

Sonographisches Analysieren verschiedener Strukturen

Eine Herausforderung für sie stelle die Behandlung von frischen oder nicht optimal verheilten Strukturen dar, so Vögelin, zum Beispiel nach einem Unfall: Genähte Sehnen verkleben oft im Anschluss, die optimale Gleitfähigkeit mit vollständigem Beugen und Strecken der Finger ist eingeschränkt. Heilt eine genähte Sehne? Mit der dynamischen sonographischen Untersuchung kann zudem das Gleitverhalten der Sehnen analysiert werden. Zusätzlich können die Ringbänder, welche die Sehnen am Knochen führen, verletzt sein und ihrer Aufgabe nur ungenügend gerecht werden. In solchen Fällen sind Sehnenlösungen oder Ringbandrekonstruktionen zur Führung der Sehnen am Knochen nötig.

Nach einer Frakturversorgung mit zu langen Schrauben, nicht optimal platzierter Platte oder Drähten kann es zum Konflikt mit den umgebenden Sehnen oder dem Weichteilgewebe kommen – eine Situation, die mittels Ultraschall ohne Probleme detektiert werden kann. Denn: Im Gegensatz zum Röntgenbild, das vor allem Implantat-Strukturen und Knochen sichtbar macht, werden beim Ultraschall auch Sehnen und Weichteilgewebe abgebildet.

Der Ultraschall bewährt sich auch in der Nervendiagnostik, wenn es gilt, die Form des Nervs und die damit einhergehende Funktionseinschränkung miteinander abzugleichen. Vögelin: „Beim Karpaltunnelsyndrom zum Beispiel kann der Nerv im Querschnitt geschwollen sein, bevor er im Karpalkanal abgeplattet wird. Auch sein Gleitverhalten kann beim Öffnen und Schließen der Faust verfolgt werden.“ Morphologische Strukturveränderungen in der Form, Vernarbungen und die Gleitfähigkeit des Nervs lassen sich mit dem Ultraschall sehr gut abbilden. Grundsätzlich nicht erkennbar ist dagegen die Funktionalität des Nervs. Diese ergibt sich aus dem klinischen Befund oder aber mit Hilfe eines Elektroneuromyogramms, das der Neurologe erstellt.

Das dritte Auge – Ultraschall in der Handchirurgie
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Abb 1: N. ulnaris mit Unterbruch der Nervenfasern (Neurom). Nach der Rekonstruktion sind sonographisch

Bewegungsmelder

„Die Sehnen eignen sich zur Abbildung eines Bewegungsablaufs ausgezeichnet“, so Vögelin und weiter: „Hingegen kann beim Schallen eines Gelenks nur ein Teil der Beweglichkeit mit dem Schallkopf erfasst werden.“ Automatisch verlässt der Schallkopf irgendwann die Ebene des Gelenkes und liefert damit kein verwertbares Bild mehr. Wenn dagegen Sehnen bewegt werden, beim Strecken oder Beugen, dann liegt der Schall über der Sehne und bildet die Bewegung ab. „Wie gut die Sehnen gleiten, kann mit Hilfe des Ultraschalls dynamisch verfolgt werden“, erklärt die Chefärztin.

Lineare Schallköpfe, ein kleiner für die Finger und ein etwas größerer für die anderen Handareale, rechteckig wie ein Dominostein, verbunden mit einer hohen Auflösung von 17-18 MHz helfen, die Anatomie an der Hand zu visualisieren und Probleme diagnostisch sehr genau abgrenzen zu können. Um beispielsweise beurteilen zu können: Handelt es sich bei einer optisch wahrnehmbaren Schwellung um eine Entzündung, eine Zyste oder einen Tumor? Oder bei Knochenproblemen: Ist die Struktur des Knochens intakt?

In der Handchirurgie kommt der Farbdoppler vor allem beim Nachweis einer entzündlichen Mehrdurchblutung zum Einsatz. Im Kontext mit einer Gefäßproblematik kann der Doppler-Modus eingesetzt werden. Mit ihm lassen sich die Fließrichtung und -pulsation des Blutes bestimmen. „Die Elastographie hat sich bisher bei uns nicht durchgesetzt, da wir bei dieser Methode an der Hand mit den wenigen Weichteilflächen keine wirkliche Verbesserung sehen. Wir arbeiten bereits extrem hochauflösend und können viel dynamisch untersuchen“, so Prof. Vögelin abschließend.


Profil:
Prof. Esther Vögelin studierte Medizin an der Universität Basel. Nach drei Jahren Allgemeinchirurgie schloss sie 1994 am Unispital Basel die plastisch-chirurgische Ausbildung mit dem Facharzt ab. Es folgten die Ausbildung in rekonstruktiver und ästhetischer Chirurgie in London undein Forschungsaufenthalt mit Schwerpunkt Mikrochirurgie sowie Knochen- und Nervenregeneration in Kalifornien. Von 1998 bis 2001 spezialisierte sie sich in Bern weiter und erwarb den Facharzttitel in Handchirurgie. 2006 erhielt Vögelin einen Lehrauftrag, seit 2007 ist sie Chefärztin und Co-Direktorin der Universitätsklinik für plastische und Handchirurgie in Bern.

Veranstaltung
Raum: B Jakobshorn
Donnerstag, 24.09.2015, 11:12 Uhr
Sonografie bei posttraumatischen Nervenveränderungen
Esther Vögelin, Schweiz
Session: Refresher Bewegungs-apparat: Handchirurgie

23.09.2015

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