Artikel • „Corona Lectures“ zu thrombotischen Komplikationen
Covid-19 als Treiber von Thrombosen
Eine der größten Gefahren bei Patienten, die schwer an einer SARS-CoV-2-Infektion erkrankt sind, ist die Entstehung von Thrombosen und Lungenembolien. Vor allem eine bestimmte Form von Gefäßverschluss, bei der Entzündungs- und Gerinnungsprozesse eine fatale Verbindung eingehen, wird durch das Virus getriggert.
Bericht: Karoline Laarmann
Prof. Dr. Steffen Massberg, Inhaber des Lehrstuhls für Innere Medizin/Kardiologie und Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik I an der Ludwig-Maximilians-Universität München, forscht bereits seit vielen Jahren zu den Immunreaktionen bei entzündlichen Erkrankungen. Im Rahmen der virtuellen „Corona Lectures“ der LMU München sprach er über die Mechanismen, die zu den thrombotischen Komplikationen führen und die Erkenntnisse, die sich daraus für die Therapie ergeben. „Die Gerinnungsaktivierung spielt eine wichtige Rolle bei Covid und ist ein prognostischer Marker“, erklärte der Experte. „Wenn die Gerinnung stark aktiviert ist, dann ist das ein Zeichen für einen schweren Verlauf.“ Wesentlichen Einfluss auf den Verlauf einer Infektion mit SARS-CoV-2 üben Vorerkrankungen aus. Patienten, deren Gefäßsystem aufgrund ihres hohen Alters oder eines Bluthochdrucks ohnehin vorgeschädigt sind, sind besonders gefährdet.
Die hohe Inzidenz thrombotischer Ereignisse bei schwer erkrankten Covid-19-Patienten mit akutem respiratorischen Syndrom ist bereits gut belegt. In 28 Studien mit 2928 Patienten traten bei 34% der auf der Intensivstation zu behandelnden Personen thrombotische Komplikationen auf, wobei bei 16,1% eine tiefe Venenthrombose und bei 12,6% der Personen eine Lungenembolie trotz gerinnungshemmender Thromboprophylaxe auftrat und mit einer hohen Mortalität verbunden war, wie die Forscher in ihrer Publikation im Journal of Thrombosis and Thrombolysis berichten. Gleichzeitig gibt es Registerdaten, die darlegen, dass Intensivpatienten, bei denen Heparin zum Einsatz kam, im Vergleich zu Patienten, die keine Heparinbehandlung erhielten, eine geringere Sterblichkeitsrate aufwiesen. „Auf Basis dieser Analysen gibt es zumindest Hinweise darauf, dass die Blockade der Gerinnung möglicherweise mit einem besseren Verlauf bei schwer erkrankten Patienten assoziiert ist“, kommentierte Massberg. Er betonte aber auch, dass es an randomisierten Studien fehle, die die Wirksamkeit einer Antikoagulation bei Covid-19 eindeutig bestätigen.
Entzündliche Mikrothromben in Lunge, Herz und Niere gefunden
Aber wie kommt es überhaupt zu der unerwünschten Gerinnselbildung? Ein Forscherteam der kardiologischen Abteilung der LMU München untersuchte in Zusammenarbeit mit dem Institut für Pathologie der RWTH Aachen histologische Proben von an Covid-19 verstorbenen Patienten. In der im Fachjournal Circulation veröffentlichten Arbeit stellten sie nicht nur Veränderungen in den Lungenbläschen selbst fest, sondern fanden auch in über der Hälfte der Fälle kleinere Gefäßverschlüsse. Und zwar nicht nur in der Lunge, sondern auch im Herzen und in der Niere. In diesen Mikrothromben befanden sich neben gerinnungsaktivierenden Zellen auch eine hohe Anzahl von Entzündungszellen – klares Zeichen für eine sogenannte Immunothrombose. Der Begriff bezeichnet eine rege Interaktion von Blutplättchen und Entzündungszellen, die sich in einem selbst verstärkenden Kreislauf gegenseitig rekrutieren und aktivieren.
Tödliche Netze
Ein Aspekt der Immunothrombose, der im Kontext von Covid-19 eine entscheidende Rolle zu spielen scheint, ist die Bildung von NETs (neutrophil extracellular traps). Diese Netze entstehen aus aktivierten Entzündungszellen, den Neutrophilen, die den Inhalt ihres Zellkerns freisetzen. Dadurch entstehen Fibrinfäden, die wie ein Biokleber wirken, der zum einen zur Blutgerinnung beiträgt, zum anderen der Infektabwehr dient. Die Netze binden Krankheitserreger und verhindern so, dass diese sich weiter im Körper verbreiten. Zunächst einmal eine gute Sache. Allerdings ist die NET-Bildung bei Covid-19 sehr viel stärker ausgeprägt als bei anderen Viruserkrankungen wie beispielsweise der Influenza. Die LMU-Wissenschaftler konnten nachweisen, dass die Wahrscheinlichkeit der NET-Bildung in Gegenwart von Covid-19-Blutplättchen um mehr als das Dreifache erhöht ist. Wobei der Aktivierungsgrad mit dem Schweregrad der Covid-19-Erkrankung korreliert. Das bedeutet, dass eine unkontrollierte Gerinnselbildung stattfindet, die zu Verschlüssen führen kann.
Die Unterdrückung der NET-Bildung sei daher ein interessanter Ansatz für zukünftige antithrombotische Therapien, glaubt Prof. Massberg. Für den gegenwärtigen Umgang mit Covid-19 empfiehlt der Kardiologe „eine engmaschige Überwachung der Patienten in Bezug auf Gerinnselbildung, insbesondere im Hinblick auf Komplikationen wie eine Lungenembolie oder einen Herzinfarkt.“
Profil:
Prof. Dr. Steffen Massberg leitet seit 2012 die Medizinische Klinik und Poliklinik I am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Mitglied in zahlreichen Fachgesellschaften und Mitgründer der Munich Heart Alliance, einem regionalen Forschungsnetzwerk für die Prävention, Diagnose und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In der Grundlagenforschung untersucht er das Wechselspiel zwischen Blutplättchen, Blutgerinnung und Entzündungszellen.
30.03.2021