Ernüchterndes Fazit

Deutschland verliert den Anschluss bei der Digitalisierung

Der föderale Aufbau des Gesundheitswesens in Deutschland zeigt sich als nicht sehr förderlich für das Voranschreiten der eHealth Landschaft. Ein Blick über die Grenzen nach Dänemark und in die Schweiz offenbart obendrein, wie zügig andere Länder bei der Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategie vorwärtskommen. „Deutschland ist ziemlich abgehängt, weil es niemanden gibt, der die Verantwortung für die Einführung von allgemeingültigen Standards übernehmen will“, so Prof. Britta Böckmann, Medizininformatikerin an der Fachhochschule Dortmund, auf einer Podiumsdiskussion auf der MEDICA 2016. Zusammen mit Prof. Rüdiger Breitschwerdt vom Institut für eHelath und Management im Gesundheitswesen der Hochschule Flensburg und Adrian Schmid, Leiter des Koordinationsorgans Bund-Kantone von eHealth Suisse sprach sie über den Stand der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland und kommt zu einem ernüchternden Fazit.

Report: Marcel Rasch

Photo: Deutschland verliert den Anschluss bei der Digitalisierung

Der Blick über die Grenzen kann hilfreich sein

Selbstverständlich gibt es Unterschiede beim Vorantreiben der Digitalisierungsstrategie, denn während in der Schweiz und in Dänemark die jeweiligen Regierungen das Management übernommen und Standards festgelegt haben, wird die Digitalisierung in Deutschland nicht von der Bundesregierung vorangetrieben. Adrian Schmid bestätigt, dass nicht nur eine zentrale Steuerung Sinn macht, sondern auch ein zusätzlicher Blick über die Grenzen hilfreich sein kann: „In der Schweiz gibt es keinen Ort, der weiter als 80 Kilometer von der nächsten Grenze entfernt liegt. Deshalb hat der Bund beschlossen sämtliche Standards einzuführen, die auch in Europa genutzt werden. Nur so können wir der Digitalisierung Herr werden.“

Sowohl Rüdiger Breitschwerdt als auch Britta Böckmann unterstützen diese Sichtweise. „Zusätzlich verkompliziert die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung in Deutschland die Situation“, erklärt Böckmann und Breitschwerdt ergänzt: „Hinzu kommt der nationale Standard für niedergelassene Ärzte KV-SafeNet, mit dem die Kommunikation innerhalb Deutschlands wunderbar funktioniert, aber schon die Kommunikation zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern eher schwierig wird.“ Über die Grenzen hinaus kommunizieren lässt sich so nicht. „Wir brauchen ganz klar einen stärkeren Fokus auf Interoperabilität“, lautet die Forderung Böckmanns.

Teilweise ist sogar die Technologie bereits veraltet

Auch die Technologie, die von der GEMATIK für die geplante elektronische Gesundheitskarte genutzt wird, ist vor dem Hintergrund neuer Technologien bereits kaum noch nutzbar. „Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass diese Technologie aus einer Zeit stammt, als wir noch keine Ahnung von Smartphones, Apps und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten hatten“, macht Breitschwerdt deutlich.

„Tatsache ist, dass der Patient ein Recht auf Digitalisierung hat“, betont Böckmann und wird darin von dem Schweizer Leiter der Schweizer Koordinationsbemühungen unterstützt. „Die Bewegung hin zu mehr Nutzung digitaler Möglichkeiten seitens der Patienten, lässt sich nicht aufhalten. Notfalls müssen wir damit rechnen, dass die Bürger die vorhandenen digitalen Möglichkeiten ohne gesetzte Standards und ohne die notwendige Sicherheit ausschöpfen“, so Breitscheidt. Das Chaos, das dann entstehen könnte, möchte sich keiner der drei Diskussionsteilnehmer vorstellen.

In der Schweiz habe der gesamte Prozess der Digitalisierung und Schaffung von Standards zehn Jahre in Anspruch genommen und sei noch immer nicht beendet, betont Schmid. Dass in Deutschland seit vielen Jahren allein über die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte diskutiert wird, aber bisher nichts umgesetzt ist, ist ein eher ernüchterndes Fazit, dass man am Ende dieser Podiumsdiskussion ziehen muss. Bessert Deutschland hier nicht nach, ist die Gefahr groß, dass das Land den Anschluss verpasst.

 

17.11.2016

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