Ländervergleich

Sorgenkind Deutschland, Paradies Schweiz?

Die aktuellen politischen Rahmenbedingungen verändern die Versorgungsstruktur und Wettbewerbsdynamik für medizinische Leistungsanbieter. Genau dieses waren die Themen des 11. Management- und Strategiekongresses MARA (Management in der Radiologie), der im Herbst 2015 in Bonn (Deutschland) stattfand. Zum Anspruch des Kongresses sagt Mitorganisator PD Dr. Martin Maurer: „Wir wollen im Rahmen des MARA-Kongresses keine schönen Vorträge halten, sondern vor allem die aktuellen wunden Punkte im Fachbereich der Radiologie ansprechen.“

PD Dr. Martin Maurer, Oberarzt am Institut für Diagnostische, Interventionelle...
PD Dr. Martin Maurer, Oberarzt am Institut für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie am Universitätsspital Bern (Schweiz).

Wie gestalten sich die Management-Herausforderungen für Radiologen im Vergleich der beiden Länder?

Generell sind die anstehenden Herausforderungen und Managementaufgaben in der Radiologie nicht länderspezifisch und in Deutschland und der Schweiz ähnlich, die Anforderungen steigen überall. Grund dafür ist die zunehmende Subspezialisierung des Faches mit den sehr spezifischen Anforderungen und Wünschen der Zuweiser und der Anspruch die Befundung schnell und bei hoher Qualität durchzuführen – und das bei steigenden Mengen an Bildmaterial. Auch benötigen wir zusätzlich Zeit für Leistungen wie die Teilnahme an interdisziplinären Tumorboards – und das alles bei tendenziell sinkenden Vergütungen.

Wie sehr spielen finanzielle Aspekte im ambulanten Bereich eine Rolle?

Leider rücken finanzielle Aspekte sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz zunehmend in den Vordergrund. Die Rahmenbedingungen für Radiologen sind in der Schweiz allerdings momentan noch erheblich besser. Medizinische Leistungen werden zwar auch in der Schweiz mit Punkten bemessen und nach Zeitaufwand für Untersuchungsleistung und durchschnittliche  Befundungszeit bewertet und vergütet, jedoch erhalten niedergelassene Radiologen in der Schweiz immer noch eine realistische Vergütung für eine reale Leistung. Das führt natürlich zu insgesamt deutlich höheren Vergütungen für Radiologen, denen auch erheblich höhere Kostenstrukturen, z. B. für Personal, Lebenshaltung und Immobilien gegenüberstehen.

In der Schweiz erhalten Patienten für jede erbrachte Leistung eine Rechnung. Das schafft Transparenz, und ein Bewusstsein dafür, welchen Wert eine medizinische Leistung hat. Dieses Bewusstsein fehlt gesetzlich Versicherten in Deutschland zumeist vollkommen und begünstigt die Überinanspruchnahme von Leistungen.

Betrachtet man die Bedingungen für niedergelassene Radiologen in Deutschland, muss man sich fragen, wie das System dauerhaft funktionieren soll, denn aus Sicht des Leistungserbringers trägt die Vergütung für einen gesetzlich versicherten Patienten zumeist nur zur Deckung seiner Kosten bei. Es klingt schmerzhaft, aber mit Standardleistungen für gesetzlich Versicherte kann ein Radiologe in Deutschland kaum noch Geld verdienen. Offenbar ist es gesundheitspolitisch gewollt, dass privat Versicherte die Behandlung gesetzlich Versicherter massiv quersubventionieren und damit die Infrastruktur im ambulanten Bereich aufrechterhalten werden kann.

Hier fällt gerne das Schlagwort „Zwei-Klassen“-Medizin. Doch jeder Patient in Deutschland erhält, abgesehen von etwas mehr Komfors im Krankenhaus und kürzeren Wartezeiten bei der Terminvergabe, medizinisch weitestgehend identisch behandelt – ungeachtet seines Versicherungsstatus. Aus Sicht der Leistungserbringer handelt es sich um eine „Zwei-Kassen“-Medizin, weil identische Leistungen unterschiedlich vergütet werden und von niedergelassenen Kollegen erwartet wird, dies einfach hinzunehmen.

Die Probleme in Deutschland entstehen auch dadurch, dass zu viele gesetzlich Versicherte einen zu geringen Beitrag in Relation zu den entstehenden Kosten leisten. Dies ist nicht die Schuld der Versicherten: in der Bevölkerung insgesamt ist das Gehaltsniveau zu gering, um einen angemessenen Beitrag zu leisten. In der Schweiz sind die Gehälter deutlich höher und auch ein Versicherter mit einem niedrigen Einkommen kann immer noch einen Beitrag leisten, der angemessen die Kosten deckt.

In Deutschland vermisse ich Gesundheitspolitiker, die der Bevölkerung diese Probleme ehrlich verdeutlichen und offensichtliche, seit Jahren diskutierte Strukturprobleme endlich einmal angehen.

Wie ist die Situation im klinischen Bereich?

Auch in den Schweizer Kliniken haben die DRGs Einzug gehalten. Hier ist das noch ungewohnt und bereitet Kliniken angesichts der hohen eigenen Kosten Kopfzerbrechen. Als Deutscher bleibt man da gelassen, zumal die Schweizer DRG-Pauschalen etwa das Dreifache des deutschen Basisfallwertes betragen. Dennoch gibt es die Tendenz, die Radiologie zunehmend als Kostenfaktor zu betrachten, den man möglichst gering halten möchte, wobei der maßgebliche Nutzen der radiologischen Abteilungen für Kliniken missachtet wird. In Deutschland wird dies in Kliniken offenbar nicht geschätzt, betrachtet man den Vergütungsanteil für radiologische Leistungen im Vergleich zur DRG-Gesamtvergütung: radiologische „Basisleistungen“ wie ein CT des Thorax oder des Abdomens wird inzwischen extrem niedrig vergütet. Damit haben wir die besorgniserregende Situation erreicht, dass große Anteile an radiologischen Standarduntersuchungen nur noch zur Kostendeckung beitragen.

In der Schweiz haben Kliniken vor allem mit hohen Kosten zu kämpfen. Auch hier hat ein  Bereinigungsprozess unter kleinen, nicht rentabel zu führenden Kliniken begonnen. Andererseits verlangt die Schweizer Bevölkerung sehr nachdrücklich, auch in abgelegenen Orten ein Krankenhaus vorzuhalten, was es politisch schwer durchsetzbar macht, unrentable Einrichtungen zu schließen.

Zwar verfügen auch viele der kleineren Kliniken über hochwertige radiologische Geräte wir CT- und MRT-Scanner, halten allerdings aus Kostengründen nachts und an den Wochenenden oft keine Radiologen mehr vor und nehmen lieber das teleradiologische Angebot des Berner Universitätsspitals wahr.

Deutschland oder Schweiz – wo sehen Sie eine bessere  Zukunft für Radiologen?

Für Radiologen in Deutschland wird es zunehmend riskant und unattraktiv, eigenes Geld in die Infrastruktur einer eigenen Praxis zu investieren, denn diese sind gerade in der Radiologie besonders hoch. Nicht kalkulierbare politische Entscheidungen wie die Abschaffung der privaten Krankenversicherungen hätten für viele niedergelassene Radiologen schnell existenzielle Bedeutung. Für jüngere Radiologen ist die Idee einer eignen Praxis daher nicht mehr attraktiv. Auch bestehende Praxen investieren heute weniger und eine große Anzahl der älteren Kollegen scheint sich nur noch in das Pensionsalter retten zu wollen. Das fördert die Herausbildung größerer Praxisverbünde, um die Risiken zu minimieren und durch Skaleneffekte die Kosten zu senken. Mit Besorgnis sehe ich das Vordrängen großer Praxisverbünde und ausschließlich gewinnorientierter Kapitalgeber, die reihenweise Praxissitze kaufen – offenbar den Kassenärztlichen Vereinigungen unkritisch hingenommen.

Für beide Länder ist der Nachwuchsmangel ein Problem, denn in den kommenden Jahren wird eine große Anzahl von Radiologen aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden. Eine Chance ist der hohe Frauenanteil unter den nachrückenden Jahrgängen, weil in der Radiologie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gut gelebt werden kann – das gilt natürlich auch für die männlichen Kollegen.

Wagt man einen Ausblick für das Fach Radiologie, dann hilft kein Jammern, denn der Bedarf an radiologischen Leistungen wird zunehmen. Es wird mehr Subspezialisierung nötig sein, die flächendeckend eine entsprechende Aus- und Weiterbildung erfordert, wobei gleichzeitig der Zusammenhalt des Faches Radiologie erhalten bleiben muss. Ein Fokus wird zudem darauf liegen müssen, Patienten und Zuweisern den Wert radiologischer Leistungen zu verdeutlichen und weiterhin für eine angemessene Vergütung zu kämpfen.


PROFIL:
PD Dr. Martin Maurer kann die Veränderungen in der Gesundheitslandschaft aus zwei Länderperspektiven bewerten: Der deutsche Radiologe ist nach mehrjähriger Tätigkeit an der Berliner Charité derzeit Oberarzt am Institut für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie am Universitätsspital Bern (Schweiz). Als weitere Besonderheit kann der Mediziner ein Studium der Betriebswirtschaftslehre und einen Master of Health Business Administration vorweisen. Neben klinisch-radiologischer Forschung hat er zahlreiche gesundheitsökonomische Studien in der Radiologie durchgeführt und sich mit diesem Schwerpunkt im Jahr 2012 habilitiert.

29.02.2016

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