Kolorierte MRT-Aufnahme eines Knies (Symbolbild)

Bildquelle: Shutterstock/Suttha Burawonk

News • Orthopädie

Meniskus-Schaden und O-Beine begünstigen Knie-Arthrose

Menschen mit Schäden am Innenmeniskus und so genannten O-Beinen erleiden im Laufe des Lebens häufig eine Arthrose am Knie, da hier die Last, ähnlich wie beim Bogen einer gotischen Kathedrale, übermäßig groß ist. Orthopädische Chirurgen um Professor Henning Madry konnten diese Beobachtung aus der klinischen Praxis nun erstmals wissenschaftlich untermauern.

portrait of henning madry
Prof. Dr. Henning Madry

© Rüdiger Koop

Es mag wie eine Banalität klingen, und Professor Henning Madry wurde auch selbst schon darauf angesprochen: „Das kann man sich doch denken!“ Ja, klar. Kann man. Aber Wissenschaft ist eben nicht „Das kann man sich doch denken“, sondern „Wir haben das unter reproduzierbaren Bedingungen nachgeprüft.“ 

Aber von vorne: Henning Madry ist Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Orthopädie und Arthroseforschung an der Universität des Saarlandes sowie Direktor des Zentrums für Experimentelle Orthopädie am Universitätsklinikum des Saarlandes. Zusammen mit weiteren Kollegen aus dem Saarland und Luxemburg ging er der Frage nach, ob ein Meniskusschaden bei einem so genannten „O-Bein“ tatsächlich zu mehr Knie-Arthrose führt, also dem Knorpelschwund im Knie, und ob dies beim so genannten „X-Bein“ weniger der Fall ist. „Diesen Zusammenhang vermuten wir aus dem klinischen Alltag. Aber wissenschaftlich ursächlich nachgewiesen hat dies bisher niemand.“ Bis jetzt. Denn Madry und seine Kollegen sind dieser vordergründig banalen Frage nun weltweit erstmals in einer wissenschaftlichen Studie nachgegangen. Die Veröffentlichung im renommierten Fachjournal „Science Translational Medicine“ deutet schon darauf hin, dass ihre Beantwortung so banal nicht sein kann, wie man auf den ersten Blick vermuten mag.

O-Beine sind viel riskanter für die letztendliche Entstehung einer Arthrose nach Innenmeniskusschädigung als X-Beine

Henning Madry

Entscheidend für die Antwort auf die Frage, ob der beobachtete Zusammenhang tatsächlich vorliegt, ist die sogenannte Beinachse: Ist sie nach innen geneigt, hat man X-Beine. Ist sie nach außen gewölbt, O-Beine. Beides ist zwar nicht ungewöhnlich und auch nicht ungesund, aber in beiden Fällen wird der Druck, der auf den Kniegelenken lastet, übermäßig stark nach innen (O-Beine) oder außen (X-Beine) abgeleitet. Ein unverletztes Knie kann eine solche Achsabweichung jedoch tolerieren. Madry und seine Kollegen haben diese Fehlstellungen sowie die normale Beinachse im Tiermodell nachgebildet und die Auswirkungen eines Meniskusschadens auf das anschließende Arthrose-Risiko untersucht, nachdem sie an einem Arthrose-Patienten, der sich einer operativen Korrektur des O-Beines unterzog, die klinische Relevanz des Problems aufgezeigt haben. „Wir haben in der Studie sehr detailliert nachweisen können, dass ein Meniskusschaden tatsächlich das Risiko für eine Arthrose im Kniegelenk messbar steigert“, so der Knorpelspezialist. Die wichtigste Erkenntnis aus der Studie lautet Madry zufolge, dass die Neigung der Beinachse ein entscheidendes Element ist für den Schweregrad der Arthrose ist: „O-Beine sind viel riskanter für die letztendliche Entstehung einer Arthrose nach Innenmeniskusschädigung als X-Beine“, lautet sein Fazit. 

Insbesondere für gängige Therapieverfahren dürften diese Erkenntnisse von großer Bedeutung sein. „Es gibt zwei unterschiedliche Ansätze, die Achse zu korrigieren: Durch Schuheinlagen oder Knieorthesen sowie durch den chirurgischen Eingriff der kniegelenksnahen Umstellungsosteotomie, der die knöchern bedingte Achsfehlstellung unter Erhalt des natürlichen Kniegelenks korrigiert.“ Letzterer konkurriere mit einer Knieendoprothese, die aber bei jungen Patienten in etwa 25 Prozent der Fälle nach zehn Jahren ausgetauscht werden muss, da das künstliche Gelenk dann oftmals ans Ende seiner Nutzungsdauer gelangt ist. „Insbesondere für diese Patienten, die zumeist noch sehr aktiv sein wollen, ist dies natürlich sehr belastend“, so Madry. Die grundlegenden Erkenntnisse aus seiner Studie könnten nun dafür sorgen, dass diese Operation der kniegelenksnahen Umstellungsosteotomie unter Erhalt des natürlichen Knies verstärkt eingesetzt wird, um den Patienten eine gute Lebensqualität zu erhalten, ohne sich primär eine Knieprothese einsetzen zu lassen. 

Letzten Endes verhalte es sich mit dieser wissenschaftlichen Studie ähnlich wie mit dem Fortschritt in der Baukunst, so Henning Madry: „Gotische Baumeister wussten auch, wie sie den Bogen als Stütze für die Last der Kathedrale bauen mussten, und zwar aus Erfahrung. Sie wussten: ‚Wenn ich das so und so baue, passt das schon‘. Heutige Bauingenieure hingegen wissen genau, wie sie die Traglast einer Wand oder eines Bogens berechnen müssen, um ein Gebäude sicher errichten zu können, ohne dass es einstürzt. Genau das ist der Unterschied zwischen Erfahrungswerten und exakter Wissenschaft.“ 

Ein „Passt schon“ reicht halt nicht für die Ewigkeit. Klingt banal, ist es aber nicht. 


Quelle: Universität des Saarlandes

04.02.2022

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