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News • Seminar zu rechtlichen Ängsten

Steckt man als Mediziner „Mit einem Bein im Knast“?

Vom 13. bis 15. Februar 2025 fand das fächerübergreifende Seminar „Medizinrecht in der Praxis“ statt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Tobias Raupach (Institut für Medizindidaktik), Prof. Dr. Torsten Verrel (Kriminologisches Seminar und Institut für Medizinstrafrecht) sowie Prof. Dr. Dr. Tade Spranger (Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht sowie Deutsches und Internationales Recht der Biotechnologie) beschäftigten sich die Teilnehmenden mit den rechtlichen Herausforderungen in der Medizin.

Für die Jurastudierenden wurde das Seminar als Schwerpunktseminar angeboten, während Medizinstudierende eine Prüfungsleistung für ihr Wahlfach I erbringen konnten. 

Das Seminar ist Teil des Projekts „Mit einem Bein im Knast – rechtliche Ängste in der Medizin (ReAniMed)“. Unterstützt wurde das Team von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Ulrike Bösel, Lea Thieme, Dr. Arietta Lotz, Dr. Friederike Schröck und Joana Günther sowie den studentischen Hilfskräften Juliane Weber und Ida Geisinger. Im Fokus stand die verbreitete Unsicherheit vieler Mediziner in Bezug auf juristische Konsequenzen ihres Handelns. Weder im Medizinstudium noch in der Facharztausbildung werden rechtliche Grundlagen ausreichend vermittelt. Dies führt zu einer weitverbreiteten Angst vor Haftung und Reputationsverlust, die sich in der sogenannten „Rechtfertigungsmedizin“ oder „defensiven Medizin“ widerspiegelt. Dabei setzen Ärzte aus Sorge vor rechtlichen Konsequenzen unnötige diagnostische oder therapeutische Maßnahmen ein oder vermeiden sinnvolle Behandlungen, die rechtlich als riskant wahrgenommen werden könnten.

Ziel des Seminars war es, den Studierenden eine fundierte Einführung in die rechtlichen Grundlagen ärztlichen Handelns zu geben, um eine evidenzbasierte Medizin zu fördern und eine reflektierte Fehlerkultur zu etablieren. Dafür hielten Medizin- und Jurastudierende Tandemvorträge, in denen medizinische und rechtliche Aspekte eines Themas praxisnah verknüpft wurden. Neben den informativen Vorträgen gab es lebhafte Diskussionen, in denen reale, bislang nicht abschließend geklärte Rechtsfragen erörtert, Probleme aufgedeckt und Lösungsansätze entwickelt wurden. 

Behandelt wurden unter anderem folgende Themen: 

  • Patientenfixierung im Krankenhaus 
  • Organspende 
  • Patientenverfügung und Demenz 
  • Patiententötungen in Krankenhäusern 
  • Schwangerschaftsabbruch 
  • Ärztliche Schweigepflicht 
  • Palliativmedizin 

Ergänzt wurde das Programm durch zwei hochkarätige Expertenvorträge: Prof. Dr. med. Ingo Gräff, Leiter des Interdisziplinären Notfallzentrums (INZ) am Universitätsklinikum Bonn, sprach über medizinische Notfallsituationen und die Ersteinschätzung im Krankenhaus. Prof. Dr. Lukas Radbruch, Leiter des Zentrums für Palliativmedizin und ärztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn, bot tiefe Einblicke in rechtliche und ethische Herausforderungen der Palliativmedizin.

Ein besonderer Höhepunkt war der abschließende Moot Court, bei dem die Teilnehmenden spannende Fälle zu Sterbehilfe, Schweigepflicht und Patientenfixierung verhandelten. Die realitätsnahe Inszenierung in der historischen Kulisse der Alten Anatomie Bonn verlieh der Gerichtsverhandlung eine authentische Atmosphäre und ermöglichte den Studierenden eine praxisnahe Anwendung ihres neu erworbenen Wissens. 

Die Diskussionen im Seminar zeigten deutlich, dass viele der behandelten Themen nicht in einfache Kategorien wie „richtig“ oder „falsch“ eingeordnet werden können. Gerade in der Medizin gibt es zahlreiche Grauzonen, die eine differenzierte Betrachtung aus medizinischer, juristischer, ethischer und moralischer Perspektive erfordern. Die weitverbreitete Angst vieler Mediziner, „mit einem Bein im Knast zu stehen“, konnte vielfach entkräftet werden. Vielmehr wurde deutlich, dass ein solides rechtliches Wissen die Sicherheit im ärztlichen Handeln erhöht und zur bestmöglichen Patientenversorgung beiträgt. 

Neben den fachlichen Inhalten bot das Seminar vielfältige Möglichkeiten zum Austausch. Besonders die Zusammenarbeit in den Tandemvorträgen und die Vorbereitung des Moot Courts führten zu einem intensiven Dialog zwischen den Studierenden beider Fachrichtungen. 

Ein vielversprechender Ausblick: Die positive Resonanz und das große Interesse bestätigen, dass das Seminar eine wichtige Lücke in der medizinischen Ausbildung schließt. Gleichzeitig bietet es Jurastudierenden die Möglichkeit, komplexe medizinrechtliche Fragestellungen praxisnah zu analysieren und ihre Argumentationsfähigkeiten in interdisziplinären Diskussionen zu schärfen. Das Seminar wird daher nicht nur im Sommersemester 2025 fortgesetzt, sondern soll langfristig etabliert werden, um Studierenden praxisnahe Einblicke in das Medizinrecht zu ermöglichen. 


Quelle: Universitätsklinik Bonn

22.03.2025

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