Interview • Frischer Wind
LC-MS/MS in der medizinischen Laborroutine
Im Klinischen Institut für Labormedizin am Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien wurde in einem Team unter der Leitung von Dr. Thomas Stimpfl in den letzten vier Jahren die Integration der Massenspektrometrie in die Routineanalytik umgesetzt.
Interview: Walter Depner
LC- bzw. MS-Methoden wurden ursächlich nicht für die klinisch/medizinische Diagnostik entwickelt und haben daher auch nicht problemfrei – und in der von einigen erhofften Zeit – Einzug in das diagnostische Labor gefunden. Heute muss man kein Prophet mehr sein, um vorauszusagen, dass diese Technik künftig zunehmend im klassischen Medizin-Labor Verwendung finden wird. In Wien ist dies nicht nur erfolgreich gelungen, es liegen inzwischen auch hinreichend positive Erfahrungen vor. European Hospital hat mit Ass.-Prof. Dr. Thomas Stimpfl, dem Leiter der Abteilung Medikamentenanalytik und Toxikologie am AKH in Wien, über die Implementierung der neuen LC/MS-Methoden gesprochen.
Herr Prof. Stimpfl, was war der Grund für die Einführung einer weitgehend nicht-medizinischen-Analytik in das Labor und wie lange hat dieser Prozess gedauert?
Prof. Stimpfl: Die Massenspektrometrie, die ich in der Forensik als Standardmethode kennen gelernt habe, wurde in der Labormedizin in Wien nur für wenige Spezialanalyte eingesetzt. Diese Analysen waren aufwendig, schwer reproduzierbar und fehleranfällig. Darüber hinaus konnten sie nur von wenigen, ausgewählten biomedizinischen AnalytikerInnen durchgeführt werden. Um eine Weiterentwicklung auf diesem Gebiet zu erreichen, war auf allen Ebenen Überzeugungsarbeit nötig. Denn es musste die qualitative und auch ökonomische Überlegenheit der Massenspektrometrie und ihre Routinetauglichkeit belegt werden. Dieser Prozess ist noch in Gang und führt zur ständigen Erweiterung der Parameter, die bei uns mittels LC-MS bestimmt werden.
Wie war das für die Mitarbeiter? LC- bzw. MS-Methoden erfordern doch etwas mehr technischen Einsatz als klassische medizinische Analytik.
Anfänglich war es schwierig, breite Akzeptanz für die LC-MS bei der Erweiterung der Parameterliste zu finden. Auch hier war Überzeugungsarbeit und eine Phase der intensiven Schulung notwendig, um die Mitarbeiter mit der komplexeren Technologie vertraut zu machen. Vereinfachungen bei Bedienung und Datenauswertung, aber auch die zu beobachtende Weiterentwicklung von LC-MS-Systemen in Richtung klassischer, medizinischer Analyzer werden deren Einsatz in der Zukunft erleichtern. Mittlerweile sind in Wien schon fünfzehn biomedizinische AnalytikerInnen in der Lage, die angebotenen 85 LC-MS-Parameter selbstständig durchzuführen (auch am Wochenende).
Sie haben in Ihrem Labor viele Parameter des TDM auf LC-MS/MS umgestellt. Welche sind dies im Moment, welche sind eventuell geplant und vor allem, mit welchem Erfolg?
Immunsuppressiva werden mittlerweile vollautomatisch mittels LC-MS bestimmt und das inkludiert auch das Aliquotieren des Blutes aus den eingesendeten Originalprobenröhrchen. Dieser Schritt ist essentiell für die Reproduzierbarkeit des Gesamtprozesses, da beim manuellen Aliquotieren von Vollblut eine beträchtliche Variabilität beobachtet wurde. Darüber hinaus werden nach manueller Probenvorbereitung mit den selben LC-MS-Systemen auch Psychopharmaka, HIV-Therapeutika, Antiepileptika, Antimykotika und Kardiaka bestimmt. In naher Zukunft soll diese Analytik auf Antibiotika und endokrinologische Parameter erweitert werden. Als Erfolg ist in diesem Zusammenhang der immense Qualitätsgewinn zu verbuchen, da nun jede Probe einen isotopenmarkierten, internen Standard enthält und damit das aktuelle, auf Analysenserien basierte Qualitätsmanagement zu einem auf individuelle Patienten orientierten Qualitätsmanagement weiterentwickelt werden konnte.
Welche klassischen Labormethoden, wie Immunoassays, Photometrie, usw. wurden durch MS-Methoden ersetzt? Und laufen die „alten Methoden“ noch parallel oder wurden sie komplett ersetzt?
Der Entwicklung eines robusten und leicht bedienbaren LC-MS-Analyzers wird eine Schlüsselfunktion bei der breiten Etablierung der neuen Technologie zukommen
Thomas Stimpfl
Die Immunoassays wurden ersetzt, wobei die unterschiedlichen analytischen Strategien als komplementär zu beurteilen sind. Vor allem qualitative, aber auch ökonomische Aspekte werden in Zukunft über den Einsatz der unterschiedlichen Technologien bestimmen. Entscheidend für den Erfolg der LC-MS sind die Automatisierung der Probenvorbereitung, die Verlässlichkeit und Bedienerfreundlichkeit der Analysengeräte, die vollständige LIMS-Einbindung und die zeitnahe Unterstützung durch Produktspezialisten und Servicetechniker. Der Entwicklung eines robusten und leicht bedienbaren LC-MS-Analyzers wird damit eine Schlüsselfunktion bei der breiten Etablierung der neuen Technologie zukommen – auch in Bezug auf deren Einsetzbarkeit rund um die Uhr. Da die Massenspektrometrie sehr breit anwendbar ist, bietet sich diese Technologie in besonderem Maße an, neue Parameter zu etablieren und damit auch mögliche analytische Lücken im Parameterspektrum zu schließen.
Außer der medizinischen gibt es auch eine ökonomische Seite. Wie sieht diese aus?
Die Schwelle für den Einstieg in die LC-MS ist aufgrund der Kosten (Geräte, Laboradaptierung, …) und der immer noch benötigten Expertise des Personals sehr hoch. Langfristig sind die Betriebskosten jedoch niedriger bei sehr hoher Qualität und Flexibilität. Durch den Einsatz kommerziell erhältlicher Reagenzienkits kann rasch eine große Anzahl an Parametern angeboten werden. In unserem Fall hat das zur Bündelung von Leistungen geführt, die nun für alle Krankenhäuser der Stadt Wien zentral angeboten werden. Das ermöglicht auch neue Finanzierungskonzepte, die im Sinne von „price per reported result“ auch Analysengeräte einschließen und damit die Einstiegsschwelle senken.
Zur Technik. Mit welchen Systemen arbeitet Ihr Labor und welche Kapazitäten erreichen Sie?
Wir setzen in-vitro-diagnostische-Reagenzienkits der Firma Chromsystems ein. Für die jährlich rund 35.000 Immunsuppressiva-Bestimmungen erfolgt die Probenaliquotierung und Vorbereitung auf einem Hamilton-Automaten (als Batch) in Kombination mit Sciex Massenspektrometern. Bei den jährlich rund 15.000 weiteren LC-MS-Bestimmungen erfolgt die Probenvorbereitung manuell, da wir noch nicht über eine geeignete Random-Access-Automatisierung verfügen. Hier zeichnen sich derzeit vielversprechende Entwicklungen bei einigen Geräteherstellern ab.
In jedem modernen Labor spielt die Integration neuer Geräte/Systeme/Methoden in die vorhandene Infrastruktur eine erhebliche Rolle. Wie sieht das in Ihrem Labor aus?
Als Mindestanforderung bei der Einführung der LC-MS wurde schon die Gleichwertigkeit zu bestehenden Systemen definiert. Von Beginn an wurde daher die volle Automatisierung aller Abläufe und ihre vollständige Integration in das LIMS angestrebt; so gibt es z.B. keine manuellen Datenübertragungen mehr. Gleichzeitig konnte die Verlässlichkeit und Qualität der Resultate beträchtlich gesteigert werden.
Kann man also sagen: „die zuverlässige und harmonische Integration der Massenspektrometrie in ein bestehendes medizinisch-diagnostisches Labor ist voll und ganz gelungen“?
Man kann sagen, dass die Massenspektrometrie erfolgreich als Routinemethode in unserem Labor etabliert werden konnte. Ich halte das aber erst für den Beginn einer spannenden Entwicklung mit zunehmender Präsenz der klinischen Massenspektrometrie in den medizinischen Laboratorien der Zukunft.
Profile:
Ass.-Prof. Dr. Thomas Stimpfl studierte Pharmazie und dissertierte im Fachbereich der forensischen Chemie an der Universität Wien. Er war am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf als Forensischer Toxikologe tätig und übernahm 2014 als Bereichsleiter die Medikamentenanalytik im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien – dem größten Universitätsklinikum in Europa. Zudem leitet er ein GLP-zertifiziertes LC-MS-Labor der Medizinischen Universität Wien.
11.03.2018