Klinisch denken

Kein anderes Gelenk ist so komplex aufgebaut wie das der Schulter. Seine einzigartige Anatomie ermöglicht eine enorme Bewegungsfreiheit. Gleichzeitig macht der komplizierte Aufbau des Schultergelenks die Befundung zur echten Herausforderung, die selbst gestandenen Radiologen einiges abverlangt, weiß Prof. Dr. Werner Kenn.

Prof. Dr. Werner Kenn
Prof. Dr. Werner Kenn

Viele Patienten, die Prof. Kenn untersucht, haben bereits eine MRT-Untersuchung der Schulter hinter sich. Die Bilder sind jedoch häufig von ungenügender Qualität und die Untersuchung nicht auf die entscheidende Fragestellung zugeschnitten.

Die Radiologen stecken häufig in einem Dilemma, wenn auf dem Überweisungsschein des Patienten „MRT der Schulter“ steht – und nur das. Tatsächlich ist diese Angabe häufig die einzige Information, die dort zu finden ist. Wenn Prof. Kenn also einen Wunsch frei hätte, dann wäre es eine konkrete Fragestellung von den Zuweisern: Geht es um die Fragestellung Subakromialsyndrom, Instabilität des Glenohumeralgelenkes, sportartspezifische Erkrankungen, synoviale oder osteochondrale Erkrankungen, tumorverdächtige Veränderungen, angeborenen Fehlbildungen oder um neurovaskuläre Syndrome? In Abhängigkeit davon kann das Untersuchungsprotokoll nämlich ein völlig anderes sein, sagt der Schulterexperte: „Bei Fragestellungen rundum Instabilitäten, Läsionen des kapsuloperiostalen Komplexes sowie Pathologien des Bizepsankers wäre beispielsweise eine direkte MR-Arthographie indiziert, auch wenn viele Radiologen diese Methode gar nicht mehr anbieten. Eine indirekte Arthographie, bei der Kontrastmittel vor der Untersuchung intravenös injiziert wird und der die Schulter danach durchbewegt werden soll, ist zwar besser als die native Diagnostik, der direkten Arthrographie jedoch unterlegen.

Wie lässt sich aber nun dem Problem mit den ungenauen klinischen Angaben auf dem Überweisungsscheinen beikommen? Von Glück sprechen kann der Radiologe bzw. Patient, in dessen Umfeld er eine spezialisierte Schultersprechstunde vorfindet. Denn, so Prof. Kenn: „Ein erfahrener Kliniker kann mithilfe der Untersuchung und geeigneter Tests in Kombination mit Sonographie und konventionellem Röntgen die Verdachtsdiagnose so weit eingrenzen, dass die MRT seine Verdachtsdiagnose oft nur bestätigt. Die Expertise auf dem Gebiet der Schulter sei wesentlich von der Erfahrung des Untersuchers abhängig, betont der Professor: „Man muss ein gutes Verständnis für die Anatomie und die Biomechanik des Schultergelenks haben, um die MRT in Zusammenhang mit den Beschwerden des Patienten richtig zu interpretieren.

Deshalb empfiehlt Prof. Kenn dringend, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Für den Radiologen bedeutet das vor allem, öfter auch orthopädische oder chirurgische Literatur zum Thema Schulter zu wälzen. Oder eben den interdisziplinären Austausch auf Fortbildungsveranstaltungen wie dem Bayerischen Röntgenkongress suchen.

Profil:
Prof. Dr. Werner Kenn gilt als einer der führenden Experten im Bereich Schulter-Bildgebung in Deutschland. Er ist Reviewer für die Zeitschrift European Radiology und des renommierten Journal of Shoulder and Elbow Surgery. Er berät den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schulter- und Ellenbogenchirurgie in Sachen Bildgebung der Schulter. Er hat über 100 Arbeiten in sog. ‚peer reviewed’ Journalen publiziert, vorwiegend in dem Bereich der muskuloskelettalen MRT Diagnostik. Er ist Autor zahlreicher Übersichtsartikel im orthopädischen und chirurgischen Schriftum, u.a. in dem Standardwerk der Schulter Orthopädie und orthopädische Chirurgie (Hrg Gohlke/Hedtman; Wirth/Zichner). Der 52-Jährige hat in seiner Laufbahn bereits über 300 Vorträge auf regionalen und überregionalen Weiterbildungen sowie auf nationalen und internationalen Kongressen gehalten. Kenn ist seit 20 Jahren als Oberarzt des Institutes für diagnostische und interventionelle Radiologie der Universität Würzburg tätig, seit 2007 als leitender Oberarzt. Seine Schwerpunkte bilden die muskuloskelettale MRT sowie CT/MRT-Interventionen.
 

17.10.2013

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