Paraplegie

Auch mit Querschnittlähmung geht es weiter

Die medizinische Erstversorgung von Querschnittgelähmten hat ein hohes Niveau erreicht und heute steht fest: „Auch mit Querschnittlähmung geht es weiter“, wie es beim Motto der 30. Jahrestagung der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegie (DMGP) e.V. heißt, kombiniert mit einer kritischen Reflexion: „eine Standortbestimmung gestern, heute und morgen!“

Dank moderner Verfahren und weiteren medizinischen Fortschritten werden sich...
Dank moderner Verfahren und weiteren medizinischen Fortschritten werden sich Querschnittsgelähmten künftig weitere Möglichkeiten eröffnen, ist Dr. Yorck-Bernhard Kalke überzeugt.
Quelle: Kerstin Aldenhoff

Im historischen Rückblick sollen bei der Jubiläumstagung vom 17. bis 20. Mai 2017 in Ulm die enormen Fortschritte in diesem Bereich verdeutlicht werden. Auf der Grundlage der Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben sich die technischen Möglichkeiten immer weiterentwickelt, aber was bedeutet das für Patienten, Angehörige und Therapeuten?  Für wen sind die modernen Hilfmittel geeignet? Wo liegen die Grenzen? Tagungspräsident Dr. Yorck-Bernhard Kalke, MBA, Leiter des Querschnittgelähmtenzentrum der Orthopädischen Universitätsklinik Ulm am RKU, gibt vorab im Interview erste Einblicke in die Schwerpunkte und Highlights dieser besonderen Tagung.

Was bedeutet die diesjährige Jahrestagung der DMGP in Ulm für Sie als Tagungspräsident?

Dr. Kalke: „Ich freue mich sehr auf diese Tagung. Es ist eine große Ehre, einen solchen Kongress mit insgesamt über 800 Teilnehmern ausrichten zu dürfen. In der Geschichte der DMGP ist dies die erste Tagung, die in Ulm stattfindet und ich bin besonders stolz darauf, dass es gleichzeitig auch eine Jubiläumstagung ist. Das ist eine runde Sache – und soll auch eine runde Sache werden.“

Etwa 800 Teilnehmer aus Medizin und Industrie setzen im barrierefreien Congress Centrum Ulm ein deutliches Zeichen, dass es auch mit Querschnittlähmung weitergeht. Weshalb ist das Tagungsmotto so entscheidend?

Dr. Kalke: „Ich habe das Motto bewusst so formuliert. Wir sind mittlerweile dank des medizinischen Fortschritts so weit, dass der rumpf- und beingelähmte Patient, der Paraplegiker, eine Lebenserwartung hat, die der Normalbevölkerung entspricht. Beim Tetraplegiker kommen wir da noch nicht ganz hin. Aber, in der Tat kann man heutzutage sagen: Auch mit Querschnittlähmung geht es weiter im Leben. Wir schaffen es zum Beispiel in Ulm in unserem Zentrum, dass über 93 % unserer Patienten wieder nach Hause entlassen werden können, das ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.“

Die Zusammenarbeit von Ärzten, medizinischem Fachpersonal, Angehörigen und Patienten steht bei der Fachtagung mit rund 500 Ärzten und medizinischem Fachpersonal im Mittelpunkt. Mit der „relationship based care“ liegt der Fokus aller an der Behandlung Querschnittgelähmter beteiligter Berufsgruppen auf einer partnerschaftlichen Beziehung mit den Patienten und ihren Familien. Welche Schwerpunkte und Highlights bietet die Jubiläumstagung? 

Dr. Kalke: „Es finden 12 Arbeitskreistreffen einschließlich Krankenhausseelsorger statt, in denen die DMGP ihre Vielseitigkeit unter Beweis stellt. Die zahlreichen Schwerpunktthemen unserer wissenschaftlichen Tagung verdeutlichen diese Vielseitigkeit. Hinzu kommen diverse Workshops und Industriesymposien. Höhepunkte werden unsere Festredner Pater Anselm Grün und Prof. Manfred Spitzer sein. Hinzu kommen Vorträge, die uns Einblick in internationale Hospitationsprogramme und die Kooperation mit großen internationalen Fachgesellschaften und der WHO geben.“

Die Standortbestimmung, die im diesjährigen Jahresmotto angesprochen ist, bezieht sich auch auf das Gestern und die Zukunft. Was sind für Sie entscheidende Punkte im Hinblick auf das Qerschnittgelähmtenzentrum Ulm?

Dr. Kalke: „Das Ulmer Querschnittgelähmtenzentrum hat sich in den vergangenen Jahren enorm entwickelt. Seit 1999, so lange leite ich das Zentrum bereits, hat sich viel verändert, so dass wir mit mittlerweile 51 Betten zu einem der größeren Zentren gehören und mit einem Team aus hoch-qualifizierten und motivierten Mitarbeitern unseren Patienten auch technisch gesehen eine Therapie auf höchstem Niveau bieten können. Insbesondere die Investition in das Exoskelett, welches auch Thema des Kongresses sein wird, ermöglicht uns hier viel. Aktuell läuft eine paneuropäische Studie zur Evaluierung der möglichen therapeutischen Folgen der Exoskelett-Therapie, an der wir teilnehmen, und ich könnte mir vorstellen, dass wir hier in der Zukunft noch Erstaunliches erleben.“

Was hat es mit der fördergemeinschaft für das Querschnittgelähmtenzentrum Ulm auf sich?

Dr. Kalke: „Die Gründung der gemeinnützigen Fördergemeinschaft für das Querschnittgelähmten-zentrum Ulm, die 2001 von mir ins Leben gerufen worden ist, war ein weiterer Meilenstein. Querschnittgelähmte sollen dadurch auch finanzielle Unterstützung erhalten. Einnahmen, die wir unter anderem auch über eine Tombola im Rahmen des Festabends am dritten Kongresstag erzielen, oder Fördermittel, wie die von der „Aktion 100.000 – Ulmer helft“ kommen direkt den Patienten zugute. Sei es bei unserem im Jahre 2009 gegründeten Stammtisch, der jeden dritten Dienstag im Monat stattfindet, oder beim jährlichen Sommerfest am Thalfinger See.“

Aus dem großen Angebot robotergestützter Gehtrainingsgeräte zur Verbesserung der Gehfähigkeit werden aktuelle vielversprechende Technologien auf der Tagung vorgestellt: Welche Perspektiven bringt die neue Generation von Roboter-Rehabilitationsgeräten für die Patienten? Für wen können diese technischen Innovationen mehr Lebensqualität bringen? Und ist die Versorgung finanzierbar?

Dr. Kalke:  „Ein Industriesymposium am Freitag, 18. Mai 2017, wird sich diesem Thema widmen und am Samstag, den 19. Mai 2017 geht es in der wissenschaftlichen Session mit dem Schwerpunktthema Exoskelett und Robotics weiter.“

Es ist Ihnen gelungen, ganz besondere und hochkarätige Vorträge von internationalen Festrednern nach Ulm zu holen, zum Beispiel Manfred Sauer von der gleichnamigen Stiftung in Lobbach bei Heidelberg, einen der letzten Patienten von Sir Ludwig Guttmann, dem Gründervater der Paralympischen Spiele. Welchen Effekt erhoffen Sie sich, hat das auf die Teilnehmer?

Dr. Kalke: „Bei der Eröffnungsveranstaltung der 30. Jahrestagung am 18. Mai 2017, 13:00 bis 14:30 Uhr im Einsteinsaal, soll der Spirit der DMGP verdeutlicht werden. Dazu gehören Persönlichkeiten wie Manfred Sauer, der in beeindruckender Weise aus seinem Leben berichten wird.“

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Dr. Kalke: „Für die Zukunft wünsche ich dem Querschnittgelähmtenzentrum Ulm ein „vivat, crescat, floreat“ - es möge leben, gedeihen und blühen! …und dies im festen Verbund mit der Deutsch-sprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegie, dem europäischen Verbund der Querschnitt-gelähmtenzentren EMSCI sowie dem Weltverband der Querschnittgelähmtenzentren ISCoS und selbstverständlich ganz nach dem Motto: Auch mit Querschnittlähmung geht es weiter!“, denn das haben unsere Patienten und Patienten, denen wir uns ein Leben lang verpflichtet fühlen, verdient.“

 

Quelle: Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegie (DMGP) e.V.

15.05.2017

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