10 CT2016GARMISCH also nicht nur die Radiologen, sondern das gesamteKlinikpersonal.SolcheStudienwer- den wir aber in den nächsten Jahren erleben, da bin ich sicher.“ Neben der unsicheren Evidenzlage steht das Triple Rule Out zurzeit aber noch aus einem anderen Grund in der Diskussion, nämlich bezüglich der Frage, ob nicht be- reits im Rahmen der klinischen Diagnostik genug Vorarbeit geleistet werden kann, um bestimmte Ursachen für den akuten Brust- schmerz ein- oder auszuschließen. Eine komplette Thoraxbildgebung wäre dann überflüssig. Diese Erfahrung teilt auch Prof. Nikolaou: „In Tübingen verwenden wir das TRO-Protokoll in der Tat nur sel- ten. Die Vorselektion der Patienten läuft bei uns so gut, dass die Kollegen meist mit einer bestimmten diagnos- tischen Fragestellung auf uns zukommen und wir dann je nach Indikations- stellung ein Einzelprotokoll für Herz, Lunge oder Aor- ta fahren.“ Deshalb, so der Experte weiter, müsse man sich fragen, in welchem Setting das TRO- Verfahrenüberhauptsinnvollist.Ineinergut besetzten Klinik, in der rund um die Uhr kardiologisches, pulmologisches und gefäß- chirurgisches Fachpersonal zur Verfügung steht, eher weniger als in einer unterbesetz- ten Nothilfe mit weniger erfahrenem Perso- nal. Oder anders ausgedrückt: Immer dann, wenn sich nicht mit ausreichender Wahr- scheinlichkeit sagen lässt, was die unspezi- fischenBrustschmerzenhervorruft,aberder Verdachtbesteht,dassessichumeinelebens- bedrohliche Situation handelt. Höhere Scangeschwindigkeiten, niedrigere Dosis, bessere Bild- qualität: Es hat sich in den ver- gangenen Jahren einiges getan in der technischen Entwicklung der Com- putertomographie. Dadurch sind heute Un- tersuchungen möglich geworden, die vorher nicht machbar waren – so wie das Triple- Rule-Out-(TRO-)Protokoll. Dabei wird in nur einem Scanvorgang der komplette Brustraum erfasst und die drei wichtigsten Diagnosen für den akuten Thoraxschmerz werden gebündelt: akutes Koronarsyndrom, LungenembolieundAortendissektion.Doch was nach dem Nonplusultra klingt, sollte dennoch kritisch hinterfragt werden, findet Prof. Dr. Konstantin Nikolaou, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Univer- sitätsklinikum Tübingen. „Die TRO-CT hat sicherlich Potenzial, dennoch gibt es kaum wissenschaftliche Belege darüber, was diese Methode im Ver- gleich zu den etablierten Verfahren wirklich bringt“, betont der Experte, „was wir jetzt brauchen, sind systematisch zusammenge- tragene Daten und groß angelegte klinische Studien über den sinnvollen Einsatz des Tri- pleRuleOuts.DaranführtkeinWegvorbei.“ Im Moment sieht die Datenlage noch sehr bescheiden aus. Nur wenige kleinere Studien haben bisher das umfassende Drei- fachprotokoll mit dedizierten Scans für Herz, Lunge und Aorta verglichen. Die Pa- tientenzahlen waren jedoch zu gering, um eindeutige Ergebnisse zu erzielen. Wie man erfolgreich eine evidenzbasierte Grundlage für ein innovatives Verfahren schafft, haben die methodischen Forschungsansätze rund um die Herz-CT vorgemacht. Prospektive, multizentrische und randomisierte Studien wieROMICAT-II(NEnglJMed2012;367: 299–308) konnten beweisen, dass die kon- trastmittelgestützte Koronarangiographie (CTA) bei Verdacht auf ein akutes Koronar- syndrom gegenüber Standardtechniken wie der Szintigraphie oder der Herzkatheterdia- gnostik das Patienten-Outcome verbessert und dabei hilft, Kosten zu sparen. Mittler- weile hat die CTA sogar Eingang in die Leit- linien der European Society of Cardiology zur Diagnose und Therapie des akuten Ko- ronarsyndroms gefunden. Davon ist das Triple Rule Out noch weit entfernt.DieSchwierigkeitliegtvorallemin dem enormen Aufwand, der betrieben wer- den muss, um an valide Ergebnisse zu kom- men, erklärt Prof. Nikolaou: „Man braucht ein sehr gutes Studiendesign, an das sich dann auch alle Beteiligten halten müssen, mehr als 30 Jahren spukt dieses Krankheits- bild in unseren Radiologen-Köpfen herum; aber seit der Einführung der CT und in ge- wissem Maße auch der MRT beginnen wir das Phänomen besser zu verstehen als zu der Zeit,alsdasradiologischeHandelnnochvon der konventionellen Angiographie geprägt war. Heute wissen wir, dass die ursprüng- lichen Beschreibungen des akuten Aorten- syndromsdenKernderSachenichtwirklich treffen–dasswireinenanderenDenkansatz für das akute Aortensydrom brauchen. Können Sie uns ein Beispiel geben? Das intramurale Hämatom (IMH) wurde ursprünglich als Blutansammlung in der Aortenwand beschrieben – ähnlich wie bei einer Aortendissektion, bei der keine Ver- bindung zwischen falschem und echtem Lumen besteht. Das IMH spielt bei allen Arten des Aortensyndroms eine wichtige RolleundisteinHinweisaufdenSchweregrad einer Anomalie. Streichen wir IMH aus der Liste, bleiben zwei Pathologien: Aortendis- sektion und penetrierendes aortales Ulkus (PAU). Eine dritte Pathologie, über die nicht so häufig gesprochen wird, ist das rupturierte thorakale Aortenaneurysma, das ebenfalls ein akutes Aortensyndrom verursacht, aber bisher nicht auf der Liste steht. Wir gingen bisher von einer Dreier- Kombination aus, bei der wir das IMH als einen Spezialfall der Blut- ansammlung in der Aortenwand de- finiert haben. Heute sagen wir, das IMHisteinBildgebungsbefund,den wirsowohlbeiderAD,demPAUals auch der neu hinzugekommenen Pathologie des rupturierten thoraka- len Aortenaneurysmas sehen. Haben diese neuen Erkenntnisse einen Einfluss auf das klinische Management der betroffenen Patienten? Technologische Neuerungen in der Computertomographiehabeneine wahre Bilddatenexplosion ausge- löst. Auf der einen Seite, so Pro- fessor Dr. Geoffrey Rubin, gibt es den un- ablässigen Ansturm neuer Erkenntnisse aus der Bildgebung, auf der anderen Seite aber reagiertdieMedizinmeistverhaltenaufdiese Erkenntnisse: Es dauert lange, bis neue dia- gnostische Konzepte akzeptiert werden und ein Konsens dazu gefunden ist. ParadebeispielesindseinerMeinungnach InnovationenwiedieDual-Energy-CToder die multispektrale Bildgebung, die schon mehr zehn Jahre auf dem Markt sind, aber bis heute Denkanstöße liefern, die die Radi- ologen intensiv beschäftigen. Mit seinem Vortrag zu „CT Angiogra- phy of the Aorta“ möchte Prof. Rubin, Ko- Präsident des 9. Internationalen Symposi- umsMehrschichtCT,zueinembesserenVer- ständnis beitragen, „wie wir die Bilder, die wir zum akuten Aortensyndrom generieren, am besten interpretieren“. Was gibt es Neues, was wir bei der CTA beachten müssen? Was genau die Bezeichnung „akutes Aorten- syndrom” bedeutet, ist nicht endgültig de- finiert, sondern verändert sich ständig. Seit Prof. Dr. Konstantin Nikolaou gehörte 14 Jahre zum Ärzteteam von Prof. Dr. Maximilian Reiser am Institut für Klinische Radiologie am Klinikum der Universität München, davon sieben Jahre lang als Leitender Oberarzt und stellvertretender Ärztlicher Direktor. Er gehörte mehrere Jahre zum Organisationskomi- tee des Internationalen MR- und CT-Symposiums Garmisch und wurde dort 2013 mit dem „Magnetic Resonance Imaging Award“ ausgezeichnet. Im April 2014 wechselte Nikolaou an das Universitätsklini- kum Tübingen, um dort die ärztliche Leitung der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie zu übernehmen. Neben seiner Professur verfügt der 42-Jährige über einen Master of Health Business Administration (MHBA) und einen zusätz- lichen Abschluss auf dem Gebiet des ärztlichen Qua- litätsmanagements. Geoffrey Rubin, MD, MBA, ist George Geller Professor für Radiologie und ehemaliger Chair der Radiologie- abteilung der Duke University in Durham, North Ca- rolina. Der Forschungsschwerpunkt des ehemaligen Präsidenten der renommierten Fleischner Society ist die Verbindung von kardiovaskulärer und pulmonaler CT und MRT mit neuen Bildverarbeitungstechniken, die zur Unterstützung von Diagnose und Therapiepla- nung Strukturen erkennen, charakterisieren, quantifi- zieren und visualisieren. Was bringt das Triple Rule Out wirklich? Die moderne CT-Angiographie der Aorta stellt 30 Jahre alte Definitionen in Frage Akuter Thoraxschmerz Ein frischer Blick auf das akute Aortensyndrom Donnerstag,21.01.2016, 10:50Uhr Bildgebungbeiakutem Thoraxschmerz KonstantinNikolaou,Tübingen Session:KardiovaskuläreCT Veranstaltung Donnerstag,21.01.2016, 11:10Uhr CTAngiographyoftheAorta GeoffreyD.Rubin,Durham,USA Session:KardiovaskuläreCT Veranstaltung Von links nach rechts: Koronarangiopathie, Aortendissektion und Lungenembolie Triple-Rule-Out-Untersuchung mit bestmöglicher Bildqualität bei hoher Scanzeit und nur geringer bis moderater Dosis- belastung für den Patienten Auf Herz und Lunge Das ist eine gute Frage. Das klinische Ma- nagement hängt ja von mehr Faktoren ab als nur der Identifizierung einer Pathologie, sondern auch von ihrer Lage. Im Falle einer Aortendissektion kann man den Patienten entweder sofort operieren und ihn eine Wei- lebeobachtenoderihnzueinerIntervention ins Katheterlabor schicken. Bis heute gibt es vieleunterschiedlicheBehandlungswegeund sehr wenige gesicherte wissenschaftliche Er- kenntnisse über die beste Therapie.