Offizielle Publikation zum 18. Internationalen MRT-Symposium 17.–19. Januar 2019 Garmisch-Partenkirchen MR 2 19 GARMISCH In Kooperation mit Schöne neue Welt Werden die Maschinen die Menschen in der Radiologie eines Tages ersetzen? Die digitale Revolution, die mit der Einführung Künstlicher Intelligenz zurzeit eine spektakuläre neue Wendung nimmt, führt in eine ungewisse Zukunft. Doch die Technik war schon immer Freund, nicht Feind des Radiologen. Deshalb haben die Kongresspräsidenten des 18. MRT Symposium Garmisch ihre Veranstaltung ganz bewusst unter das positiv konnotierte Motto gestellt: „Machine Vision and MR: Solving the Problems Together“. Zusammen mit Prof. Dr. Dr. h.c. Hedvig Hricak und Prof. Dr. Dr. h.c. Maximilian Reiser als MR Garmisch- Gastgeber der ersten Stunde, wird Prof. Dr. Jens Ricke die Teilnehmerinnen und Teil- nehmer erstmals als Tagungspräsident emp- fangen. Ein Schritt, der sich logisch und richtig anfühlt, nachdem Jens Ricke im Juni 2017 die Nachfolge von Max Reiser als Direktor der radiologischen Klinik an der LMU München antrat und bereits das CT Symposium Garmisch 2018 an vorderster Front mitgestaltete. Im Folgenden verrät Jens Ricke seine ganz eigene Vision darüber, wie Künstliche Intelligenz die Zukunft der Radiologie be- einflussen wird: Wenn wir über Zukunftsvisionen spre- chen, ist das auch immer ein ganz persön- liches Glaubensbekenntnis. Ob wir Recht behalten, können wir erst im Nachhinein sagen. Eines kann man jedoch leicht vorweg- nehmen: Ein Schicksal, in dem die Roboter sich kraft künstlicher Intelligenz verselb- ständigen und die Herrschaft an sich reißen, steht der Radiologie jedenfalls nicht bevor. Solche Szenarien, wie wir sie bevorzugt von B-Movies aus Hollywood kennen, haben sich allerdings tief im kollektiven Gedächt- nis festgesetzt. Auch ist der Begriff „Künst- liche Intelligenz“ (KI) ohnehin nicht klar definiert, was viel Raum für Spekulationen lässt. Versuchen wir, uns dem anzunähern, was KI eigentlich ausmacht, dann sind es im Wesentlichen zwei Dinge: maschinelles Lernen und automatisiertes intelligentes Verhalten. Welchen Nutzen bringt das für die Radiologie? Um diese Frage zu beant- worten, hilft es, sich die besondere Stärke und gleichzeitig Schwäche dieses Fachs vor Augen zu führen: die Radiologie generiert Daten, unendlich viele Daten. Zwei Be- reiche sind es, die im Wesentlichen von KI profitieren werden: zum einen die Bildana- lyse mit neuartigen Techniken weit jenseits der Morphologie und zum anderen die kli- nischen Workflows in Diagnostik und The- rapie durch komplexe Eingriffe in unsere Standardprozeduren. Bilder sind Daten Im Alltag denken wir nicht weiter da- rüber nach, dass all diese Knie-, Leber- und Kopf-MRT, die wir uns tagtäglich anschau- en, elektronische Datensätze sind, die eine Fülle offensichtlicher, aber auch verdeckter Informationen enthalten. Letztere gehen weit über das hinaus, was wir mit dem blo- ßen Auge erfassen können. Wenn wir es schaffen, auch an die bislang brach liegen- den Informationen heranzukommen, wird der medizinische Erkenntnisgewinn erheb- lich sein. Nun liegen radiologische Bilddo- kumente glücklicherweise schon heute gut bens- und Arbeitsbereiche erfasst, wenn Sie nicht Eremit und Selbstversorger sind. Wir müssen nur unser Smartphone öffnen und sind schon mittendrin. Wie genau die künst- lichen Systeme ausgerechnet die Radiologie verändern werden, können wir zum jetzigen Zeitpunkt natürlich kaum exakt vorhersa- gen. Ganz sicher stehen wir am Anfang ei- ner umwälzenden Bewegung und es wird spektakulär sein, mit welcher Geschwin- digkeit neue Ideen über mögliche Anwen- dungsfelder ausge- lotet wer den . sprechenden Softwarelösungen ließe sich je- doch der Arbeitseinsatz spezialisierter (und teurer) Mitarbeiter deutlich effektiver gestal- ten – man denke an die Steuerung multipler Geräte durch wenige Personen mit spezieller Ausbildung bei ausgeklügelter Softwareun- terstützung. Das größte Potential haben KI-Ent- wicklungen zweifelsohne in der Steuerung von Workflows über die Beeinflussung von Entscheidungspfaden während der diagnos- tischen Aufarbeitung eines Patienten bis zur Therapieempfehlung. Natürlich stellt die Bildinformation radiologischer Untersu- chungen nur einen begrenzten Ausschnitt der Daten dar, die zur strukturiert in riesigen Digitalarchiven vor, weshalb das KI-Feld Radiomics als eines der ersten Fahrt aufgenommen hat. Dabei lernen Computerprogramme, auf der Basis großer Datenmengen jenseits der Morpholo- gie quantitative Bildmerkmale zu erkennen und in statistische Aussagen über Gewebe- eigenschaften, Diagnosen und Krankheits- verläufe zu übersetzen. Bei der automatisierten Bilderkennung handelt es sich keineswegs um eine futuri- stische Neuheit. Einfache Computerdiagno- sesysteme existierten bereits in der Radiolo- gie, als ich selbst in diesem Fach angefan- gen habe. Das Wort „CAD“, computer- aided diagnostics, wurde mittlerweile durch „KI“, künstliche Intelligenz, ersetzt – und natürlich sind die Deep-Learning-Algorith- men von heute um Quanten- Machine Vision and MR – solving the problems together sprünge besser und eben intelligenter gewor- den. Das Spektrum der Möglichkeiten ist dabei sehr breit: aus einer Fülle von Thorax- aufnahmen lässt sich treffsicher ein Pneu- mothorax herausfiltern und zur Verifikation markieren – ich kann mir keinen übernäch- tigten Radiologen im Bereitschaftsdienst vorstellen, der hierfür nicht dankbar wäre. Weit fortgeschrittener: spezielle Algorith- men errechnen schon heute (sic!) aufgrund quantitativer Merkmale die Wahrschein- lichkeit einer definierten Genmutation einer kolorektalen Lebermetastase im MRT-Bild. Mehr als nur ein Hype KI in der Radiologie bedeutet nicht wis- senschaftliche Forschung in akademischen Elfenbeintürmchen, sondern ist längst Teil konkreter industrieller Entwicklungen. Die zahlreichen Technologieunternehmen, die zurzeit an KI-Anwendungen arbeiten, haben ein großes Interesse daran, diese so schnell wie möglich in kommerzielle Pro- dukte und Dienstleistungen zu überführen. Gehen Sie also davon aus, dass KI-Verfahren mehr als nur ein Hype sind! Ohnehin ha- ben Algorithmen und Big Data alle Ihre Le- s o t o h p t i s o p e d / r e g n i s i e r c : e l l e u Q Wie KI die Radiologie (wahr- scheinlich) verändern wird Ein Blick in die Industrieausstellung des letzten RSNA lehrt, dass KI in der Radio- logie sich aktuell am rasantesten als Work- flowthema entwickelt. Ich bin sicher, dass sich in jeder noch so effizient geführten radi- ologischen Praxis oder Klinik Felder finden lassen, Arbeitsabläufe mithilfe intelligenter Software weiter zu optimieren. Dabei geht es insbesondere um zweierlei: zum einen den effizienten Umgang mit knapper werdenden menschlichen Ressourcen bei der Durchfüh- rung diagnostischer Untersuchungen; zum anderen die Optimierung der Datenintegra- tion und Datenanalyse, um über optimale Entscheidungsbäume effizienter und medi- zinisch treffsicherer zu werden. Die Arbeitsbelastung für das medizi- nische Personal, egal ob ärztlich oder nicht- ärztlich, nimmt analog zu steigenden Un- tersuchungszahlen immer weiter zu, und spezialisiertes Personal ist heute kostbar. Ich bezweifle, dass künftig Algorithmen alle an- fallenden Tätigkeiten vollständig überneh- men werden, sodass am Ende nichts mehr für den Menschen zu tun bleibt. Mit ent- Behandlungsempfehlung führen. Die schritt- weise Datenakquise in der Radiologie, im Labor, in der Pathologie oder Mikrobiologie und eben im Gespräch und der körperlichen Untersuchung müsste schon heute nach den Prinzipien evidenzbasierter Medizin in repro- duzierbare, logische Prozesse münden. Um dies zu ermöglichen, braucht es nicht nur eine äußerst komplexe Datenintegration und Da- tenverarbeitung, sondern eigentlich auch die Verknüpfung der Entscheidungsprozesse mit dem tagesaktuellen wissenschaftlichen Er- kenntnisgewinn. Das bedeutet nicht weniger als die Herkulesaufgabe, den Weg von der ersten Untersuchung bis zur Therapie und hoffentlich Genesung immer wieder aktu- alisiert dem letzten Wissensstand zu unter- werfen – ein visionäres, aus Datenverarbei- tungssicht aber eigentlich triviales Szenario. Der vorsichtige Einstieg in solche Prozesse ist gemacht: Längst findet sich in digitalen Patientenakten die Verknüpfung der medizi- nischen Informationen vom Patientenvorge- spräch bis zu den einzelnen Befundergebnis- sen aller Untersuchungen. Was kläglich fehlt – insbesondere übrigens in der Radiologie – ist die Dokumentation der Untersuchungsergeb- nisse in standardisierter, strukturierter Form. Die strukturierte Datenerfassung ist Bedin- gung für die automatisierte Auswertung der Daten – für maschinelles Lernen genau so wie automatisiertes intelligentes Verhalten, bei- spielsweise das Errechnen von Therapieemp- fehlungen. Die Auswertung strukturierter Pa- tientendaten ist nichts anderes als der Urquell automatisierten Lernens, über das wir KI und Big Data definieren. Nicht unterschlagen möchte ich an dieser Stelle einen Gewissenskonflikt, den wir mög- licher Weise künftig ausfechten werden: Ist es in unserer Vorstellung von Medizin als Ideal- zustand zu betrachten, wenn standardisierte Handlungsschemata, durch Künstliche Intel- ligenz aus Big Data errechnet, individualisier- te ärztliche Entscheidungen ersetzen? Heute nennen wir es ärztliche Handlungsfreiheit, wenn individuelle soziale Faktoren, die Per- sönlichkeit des Patienten und intuitive varia- blen Diagnose- und Therapieentscheidungen beeinflussen. Wird die ärztliche Handlungs- freiheit das Evidenzargument aus Big Data und Künstlicher Intelligenz überleben? Umgang mit Daten geht alle an Die Diskussion darüber, inwieweit Com- puter unsere ärztliche Handlungsfreiheit einschränken, wenn sie anfangen, Bilder und Daten für uns zu interpretieren und daraus Therapieempfehlungen zu errech- nen, wird uns noch intensiv beschäftigen. Mit „uns“ meine ich uns alle: Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Am Ende läuft es auf die alles entscheidende Fra- ge hinaus: wer hat die Hoheit über die Da- ten? Wer steuert die Datenanalysen und wer bestimmt, welche Daten einfließen, wie Er- gebnisse bewertet werden und welche Kon- sequenzen sie haben? Und sind Ergebnisse, die eine Künstliche Intelligenz aus Big Data extrahiert, jemals „neutral“ oder gar „wahr- haftig“? Wer das glaubt, sollte bitte das mani- pulative Potential populärer Sozialer Medien wie Facebook & Co bedenken. Ich denke, die Skandale und Diskussionen der letzten Jahre mindern unsere Naivität im Umgang mit unseren persönlichen Daten oder – min- destens so wichtig! – mit der Informations- auswahl, die uns tagtäglich für unsere ganz persönliche Datenverarbeitung und Mei- nungsbildung vorgesetzt wird. Trotz allem! Ich bleibe leidenschaftlicher Optimist und bin überzeugt, dass wir gute Lösungen der ethischen, sozialen und recht- lichen Herausforderungen finden werden. Die neuen Zukunftstechnologien werden das Leben dramatisch verändern und ver- bessern – wir müssen unsere Chancen eben mit Verantwortungsbewusstsein, Bedacht- samkeit und großer Begeisterung angehen. Ihr Jens Ricke Tagungspräsident