Digitale Perspektiven Auf dem Sprung in die Zukunft Wer wissen möchte, wohin sich die Wie sieht die Radiologie im Jahr 2030 aus? Sprechen Sie Daten? Durch die Verfügbarmachung und Zusam- menführung großer Datenmengen in Verbin- dung mit Künstlicher Intelligenz (KI) werden sich in Zukunft ganz neue Möglichkeiten medizinischen Erkenntnisgewinns ergeben. Das Forschungsgebiet der „Radiomics“ bil- det hier ein zentrales Stichwort, das die Kor- relation zwischen radiologischen, klinischen und molekularbiologischen Daten bezeichnet. „Dadurch erweitert sich die Perspektive des Ra- diologen natürlich deutlich. Er kann anhand vieler verschiedener Informationen noch bes- sere Diagnosen stellen, Therapiemöglichkeiten beurteilen und Prognosen stellen. Er wird da- mit zum Integrator von Informationen, die Maschinen ihm bereitstellen“, ist Märzendor- fer überzeugt. Dass andere Schnittstellenfächer wie die Labormedizin diese Integrationsfunk- tion übernehmen werden, bezweifelt der Ex- perte: „Im Vergleich zu anderen Disziplinen ist die Radiologie viel näher dran am Men- schen. Es gibt einen starken Trend hin zum mündigen Patienten, der sich über alle Kanäle informiert und wissen will, wie es um ihn steht und was für Optionen er hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Radiologen zusammen mit den Klinikern eine zentrale Säule in dieser Patientenkommunikation bilden werden.“ Da Routinetätigkeiten in der Bildgebung und Be- fundung vermehrt von leistungsstarken Com- puterassistenten übernommen werden, ergeben sich hervorragende Chancen, die klassische Rolle des Radiologen zu erweitern und das Fach fit für die digitale Zukunft zu machen. Radiologie in den kommenden Jahren bewegt, der sollte das große Ganze sehen. Digitale Technologie bestimmen immer mehr unseren Alltag und machen auch vor der Medizin nicht halt. Das Gesundheits- wesen befindet sich bereits mitten in einem digitalen Transformationsprozess, der die me- dizinische Versorgung wie wir sie heute kennen auf den Kopf stellen wird. Walter Märzendor- fer berät Radiologen seit über dreißig Jahren zu technologischen Entwicklungen und Innovati- onen. Er ist überzeugt: Das Fach hat das Zeug, an der Spitze des digitalen Wandels zu stehen. In einem ersten Schritt wird die hochgra- dige Vernetzung, wie wir sie aus anderen Le- bensbereichen kennen, auch das Ge- sundheitswesen vollständig erfassen, prognostiziert der Branchenkenner: „Im Moment laufen zwar schon viele Prozesse in Praxen und Kliniken di- gital ab, die Daten bewegen sich aber noch in Silos. Das wird sich ändern. So wie wir es heute schon gewohnt sind, weltweit Zugriff auf unser Bank- konto zu haben, werden wir auch auf unsere Gesundheitsdaten zugreifen können, und zwar über den gesamt- en Lebenszyklus eines Individuums hinweg. Die Welle der Wearables wie beispielsweise Smartwatches wird di- ese Entwicklung weiter unterstützen. Hinzu kommt die wachsende Zahl an digital zugänglichen Populationsdaten, die dabei helfen werden, neues Wissen zu generieren.“ Walter Märzendorfer hat an der Universität Erlangen-Nürnberg Elektrotechnik studiert und ist seit 2019 Berater der Gesundheitsindustrie. Von 1985-2018 war er in unterschiedlichen Positionen bei Siemens tätig, zuletzt als Prä- sident der Sparten Diagnostic Imaging, Digital Services, Technology & Innovation der Siemens Healthineers AG. Seit 2009 ist er zudem Vizepräsident des Beratungsausschusses des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medizin, MEVIS in Bremen. Veranstaltungshinweis: Samstag, 28. September 2019, 09:00-10:00 Uhr Raum: Rosenheim Session: Symposium 11 Radiologie im Jahr 2030 – Wie wird unsere Arbeit aussehen? Walter Märzendorfer (Erlangen) ten Menschen als Aufgabe vor sich. Radiologen waren auch schon immer technikaffin und ha- ben über die Jahre nicht nur die Innovationen in den Akquisitionsmodalitäten, sondern auch in der IT vorangetrieben. Die Radiologie war der erste Fachbereich, der sich mit Einführung der PACS-Systeme in den achtziger Jahren di- gitalisiert hat. Für viele industrielle Entwick- lungen sind sie der erste Ansprechpartner, denn es gibt heute kaum ein medizinisches Fach, in dem die Bildgebung nicht von zentraler Bedeu- tung ist. Deshalb steht die Radiologie ganz na- türlich im Zentrum von Informationsintegrati- on und Informationsaufbereitung. Für Gene- ralisten mit einem Hang zur Medizintechnik und zur Kommunikation mit Patienten und Kollegen bleibt sie ein hoch innovatives und zukunftsorientiertes Betätigungsfeld.“ Was muss passieren, um mehr Patientenorientierung zu erreichen? Um diese Kette zu durchbrechen, stützen wir uns auf den Patientennutzen und messen und belohnen den „Value“. Der Value hat in die- sem Konzept eine präzise Definition: outcome over cost, die medizinische Ergebnisqualität aus Sicht des Patienten steht im Verhältnis zu den Kosten, die man zum Erzielen der Qualität benötigt. Die Ergebnisqualität misst sich an Dingen, die für den Patienten klar und greif- bar sind, wie sein Überleben, seine Schmerz- freiheit, eine erhöhte Beweglichkeit, Fähigkeit zur Teilhabe am täglichen Leben, insgesamt die krankheitsspezifische Lebensqualität. Die gemessene Ergebnisqualität wird ins Verhält- nis zu den Kosten gestellt und den höchsten Wert erzielen die bestmöglichen Ergebnisse bei gleichzeitig geringsten Kosten. Ein gutes Beispiel für Kliniken, die den Patientennutzen erkennbar in den Vordergrund gerückt haben, sind die zertifizierten onkologischen Zentren. Sie konzentrieren sich auf bestimmte Organ- tumore und bringen alle beteiligten Fachleute in einem Tumorboard zusammen, um gemein- sam zu entscheiden, welches Therapiekonzept Ein Arzt gleicht die Kosten f ür das digitale Gesundheitssystem mit der Verbesserung der Patientenversorgung auf einer virtu- ellen Waage aus. Vom realen zum virtuellen Patienten Darüber hinaus wird das Zeitalter der moder- nen Digitalmedizin von der Modellbildung und Simulation geprägt sein, so Märzendor- fer. Der Trend kommt aus der Industrie 4.0, wo schon heute kaum ein Produkt mehr an den Start geht, ohne dass es vorher mittels Computersimulationen getestet wurde. Im medizinischen Bereich sind Forscher bereits in der Lage, ein realitätsgetreues Modellherz am Rechner zu erzeugen und mit den indivi- duellen Daten von Patienten zu personalisieren. Es entsteht ein digitaler Zwilling des Organs und – so sind die Hoffnungen – auch irgend- wann ein Zwilling, der den gesamten Körper des Patienten virtuell abbildet. Auf diese Weise ließen sich beispielsweise Risikoprofile erstel- len oder die Erfolgschancen bestimmter The- rapien genauer voraussagen. Basierend auf MR-Auf nahmen und EKG -Messungen gleichen die Digitalen Zwillinge in ihren physiologischen Eigenschaf ten dem Herzen des realen Pati- enten . Das Modell ermöglicht eine Planung, die Reaktionen auf die Behandlung vor einem Eing rif f zeig t . (Copyright: Sie- mens Healthineers) Radiologen im Zentrum des Geschehens Märzendorfer identifiziert gleich mehrere Gründe, warum der Radiologe prädestiniert dafür ist, in diesem hoch technologisierten Ar- beitsumfeld eine Schlüsselrolle einzunehmen: „Radiologen waren schon immer systemisch unterwegs. Trotz aller Spezialisierungen auf einzelnen Teilgebieten haben sie den gesam- „Value Based Health Care“ – Gesundheit vergüten Sprechen wir über Patientenorientierung statakrebs, der viele Männer betrifft. In seine Behandlung sind konservative und chirurgisch tätige Urologen, Labormediziner, Radiologen, Strahlentherapeuten und Onkologen involviert, die ihre fachspezifischen Untersuchungen und Therapien durchführen und sich danach mei- stens nicht mehr mit dem Patienten befassen. In der Regel weiß keiner der beteiligten Ärzte, ob der Patient Monate oder Jahre nach sei- ner Behandlung vom Krebs geheilt ist, unter schwerwiegenden Folgen der Erkrankung oder der Behandlung leidet, wie beispielsweise unter Impotenz, Inkontinenz, Darmschädigungen oder Angststörungen. Ob der Patient am Ende einer von vielen Bemühungen getragenen medi- zinischen Versorgung krebsfrei ist und Lebens- qualität genießt, spielt in unserem derzeitigen Vergütungssystem keine Rolle. im Gesundheitswesen, ist oft von „Value Based Health Care“ die Rede. Der Be- griff beschreibt eine Bewegung, die seit Mitte der 2000er Jahre neue Organisations- und Ver- gütungsformen entwickelt hat, die sich stärker am Patientennutzen, also der für einen Pati- enten erzielten Gesundheit orientieren. Dabei wird die Ergebnisqualität den Kosten gegen- übergestellt, die zur Erreichung der medizi- nischen Ergebnisse notwendig sind. Dr. Jens Deerberg-Wittram, Geschäfts- führer der RoMed Kliniken der Stadt und des Landkreises Rosenheim, erklärt wie man „Va- lue Based Health Care“ im deutschen Gesund- heitssystem mit Leben füllen kann. Wie ist das Gesundheitswesen bisher in Deutschland organisiert? Dr. Deerberg-Wittram: Um es mal zugespitzt auszudrücken: in einer Welt, die den Patienten- nutzen nicht in den Vordergrund stellt, stürzen sich Mediziner unterschiedlicher Fachrich- tungen und teilweise auch unterschiedlicher Denkschulen relativ unkoordiniert auf den Pa- tienten. Die Bezahlung orientiert sich dabei am Aufwand bzw. der Masse der Untersuchungen und Behandlungen. Ich nehme als Beispiel Pro- 2 radiologia bavarica 2019