Labormedizin im Strukturwandel

von Karoline Laarmann

Anfang Juni öffnete die Roche Diagnostics Deutschland GmbH für sechs Tage die Pforten ihres Firmenhauptsitzes in Mannheim, um mit einem breiten Fachpublikum und 50 hochkarätigen Referenten über aktuelle wissenschaftliche, gesundheitsökonomische und diagnostische Fragestellungen in der Laboratoriumsmedizin zu diskutieren.

Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Prof. Dr. Karl J. Lackner, Harald Borrmann, Prof....
Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Prof. Dr. Karl J. Lackner, Harald Borrmann, Prof. Dr. Rudolf Tauber, Dr. Michael Müller, Prof. Dr. Klaus van Ackern, Dr. Helmut Wagner (v.r.n.l.)
Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Prof. Dr. Karl J. Lackner, Harald Borrmann, Prof....
Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Prof. Dr. Karl J. Lackner, Harald Borrmann, Prof. Dr. Rudolf Tauber, Dr. Michael Müller, Prof. Dr. Klaus van Ackern, Dr. Helmut Wagner (v.r.n.l.)

Ein spannendes Highlight der Roche Tage 2011 bildete die Podiumsdiskussion „Laboratoriumsmedizin – Quo vadis?“, die Vertreter aus den Bereichen Privatlabor, Krankenhaus, Finanzdienstleistung und Industrie an einen Tisch brachte. Der Schirmherr des Symposiums, Prof. Dr. Rudolf Tauber, Direktor des Zentralinstituts für Laboratoriumsmedizin und Pathobiochemie der Charité in Berlin und im Mai noch Tagungspräsident des IFCC WorldLab Berlin 2011, umriss auch gleich zu Beginn die wichtigsten drei Herausforderungen, die die Stoßrichtung für aktuelle und zukünftige Veränderungen in der Laboratoriumsmedizin vorgeben werden.

Herausforderungen zwischen Medizin und Ökonomie

Zunächst nannte Prof. Tauber sozioökonomische Faktoren, die vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und einer zunehmend über medizinische Möglichkeiten besser informierte Bevölkerung nach einer aktiveren Präventionsmedizin und personalisierter Behandlungsformen verlangen. Des Weiteren kommen primär medizinische Entwicklungen hinzu. Nicht nur bekannte Krankheitsbilder wie Diabetes mellitus oder neurodegenerative Erkrankungen nehmen dramatisch zu, sondern auch bislang unbekannte Erkrankungen treten in den letzten Jahrzehnten vermehrt auf. „Medizinische Forschung trägt dazu bei, dass wir Krankheitsursachen und -zusammenhänge auf molekularer und zunehmend auch atomarer Ebene verstehen und bewältigen können. Wir müssen diese medizinisch-wissenschaftlichen Entwicklungen aber auch im Sinne einer Translationalen Medizin in ein qualitätsgesichertes Versorgungsprogramm überführen“, meinte Prof. Tauber. „Wir können und kennen zwar in der Laboratoriumsmedizin unglaublich viel, trotzdem gibt es noch viele weiße Flecken auf der Landkarte unserer Möglichkeiten.“ Als dritte Herausforderung stellte Prof. Tauber neue Technologien in den Fokus. Er sei davon überzeugt, dass das Analyseverfahren „next generation sequencing“, das heute nur an ausgewählten Forschungsinstitutionen angewendet werde, in wenigen Jahren zum täglichen diagnostischen Repertoire gehören werde. Darüber hinaus nannte er die Einflüsse der Miniaturisierung und der Telemedizin als technologische Schrittmacher.

Privatisierung im Labormarkt

Eine Einführung in die strukturelle Aufstellung des deutschen Labormarktes gab Prof. Dr. Jonas Schreyögg, Direktor der Abteilung Health Economies an der Universität Hamburg. Im Gegensatz zu anderen Gesundheitsmärkten stellt die Laboratoriumsmedizin keinen klassischen Wachstumsmarkt dar. Obwohl schätzungsweise 65 % der medizinischen Diagnostik heute von der Labormedizin geleistet wird, schrumpft die reale Anzahl der Labore in Deutschland ständig weiter. Insbesondere im ambulanten Bereich konzentriert sich das Geschäft mittlerweile auf einige wenige Verbünde, die ca. 55 % des Marktanteil in diesem Segment innehalten. Diese starke Marktkonzentration und damit einhergehende Bündelung der Marktmacht beruhe vor allem auf der Privatisierung von Laboren, erklärte Prof. Schreyögg. Ein Grund seien die hohen Material- und Dienstleistungskosten im Laborbereich, die bei über 50 % liegen. Das führe dazu, dass sich bei der Übernahme von Laboren sehr hohe Effizienzgewinne realisieren lassen, zum Beispiel durch geringere Einkaufspreise und Technisierung. Privatisierung sei vor allem dort erfolgsversprechend, wo Standardisierung und Spezialisierung kurzfristig Effizienzgewinne verspreche.

Die Bemühungen zur Qualitätssicherung auf dem Labormarkt müssen daher in Zukunft verstärkt wahrgenommen werden. Um den Versorgungsauftrag weiterhin zu garantieren, muss beispielsweise die Beteiligungsstruktur von Kapitalgebern transparent bleiben. Zugleich bedeutet Privatisierung das Setzen von starken Impulsen für Innovationsschübe und effiziente Leistungserbringung. Hier sind die Privatisierer oft Vorbilder, die zeigen, wie Umstrukturierung funktioniert. Prof. Schreyöggs Fazit lautete daher: „Die Privatisierungswelle erhöht die Effizienz des Gesundheitsmarktes. Andere Träger haben aber von den privaten Trägern gelernt, so dass die Effizienzgewinne von Privatisierungen in Zukunft geringer ausfallen werden, das heißt, es wird weniger Privatisierungen geben.“

Prädiktion und Prävention

Die Früherkennung von Risikofaktoren spielt eine zunehmende Rolle in der Krankheitsvermeidung. Dadurch gewinnt die moderne Labordiagnostik an fundamentaler medizinökonomische Bedeutung und wird zum wichtigen Bestandteil für die Personalisierte Medizin. Ihre Aufgabe dabei ist es, eine effiziente Diagnostik sicherzustellen, für einen rationalen Einsatz von Therapieverfahren Sorge zu tragen, dabei zu helfen, Komplikationen in der ambulanten wie in der stationären Therapie abzuwenden sowie Krankheiten als auch Kosten zu vermeiden. Dem schnellen Transfer neuer Ergebnisse von F&E in die qualitätsgesicherte Routineanwendung wird dabei ein großer Stellenwert zuteil.

In der anschließenden freien Gesprächsrunde forderte Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus van Ackern, Geschäftsführer der Universitätsmedizin Mannheim und Dekan der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, dass die klinische Chemie mehr in die gentypische Untersuchung hineingehen müsse, um Prävention und Prädiktion zu gewährleisten. Gesundheitsgefährdete Bürger, die nicht krank seien, aber bereits vorgeschädigt, müssten frühzeitig erkannt und prophylaktisch behandelt werden. Harald Borrmann, Leiter Verkauf Labordiagnostik bei Roche, reagierte, indem er die Aufgabe zum Teil an die Universitätsmedizin zurückspielte: „Diese Forderung kann die Industrie nicht allein erfüllen. Wir entwickeln komplexe Genomsequenzierer. Hier braucht es Qualität und Kompetenz sowohl in der Anwendung als auch Auswertung der Systeme. Die Frage ist, ob wir in der Ausbildung auf dem richtigen Weg sind, um diese technischen Möglichkeiten auch anwenden zu können.“ Dr. Michael Müller, Medizinisches Labor Oldenburg, ergänzte: „Immerhin sind wir heute in der Lage, den Phänotyp besser zu beschreiben als noch vor zwanzig Jahren. Ich glaube, dass wir es schaffen werden für die wichtigsten Diagnosen, die auch die wichtigsten gesundheitsökonomischen Indikationen haben, Werkzeuge in die Hand zu bekommen, damit wir Therapien leichter und effizienter machen können.“ Auch Prof. Dr. Karl Lackner, Präsident der Deutschen Vereinten Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratioriumsmedizin und Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin der Universitätsmedizin Mainz, schloss sich der Meinung an, dass die Labormedizin bereits auf gutem Weg sei, in der Prädiktion und Prävention aktiv zu sein. Dazu brauche es jedoch einer Universitätsmedizin, die die Brücke zwischen Forschung, Innovation und Krankenversorgung schlage, wie etwa am akademischen Krankenhaus von Prof. von Ackern bereits geschehen.

Zum Schluss machte Prof. Tauber noch darauf aufmerksam, dass die Überführung von präklinischer Forschung in die klinische Entwicklung nicht zuletzt von der Nachwuchsrekrutierung und -förderung abhängt: „Wir müssen es schaffen, den Sprung in die Steuerung moderner diagnostischer Verfahren zu schaffen. Wir haben die Technologien dazu, wir müssen sie nur weiterentwickeln. Wir können diesem Anspruch jedoch nur gerecht werden, wenn wir entsprechend qualifiziertes Personal haben. Das heißt, wir müssen die Fort- und Weiterbildung deutlich voranbringen und unser Fach attraktiver machen für kommende Generationen. Wenn wir das nicht schaffen, können wir allen wissenschaftlichen Fortschritt nicht umsetzen.“
 

16.06.2011

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