News • Peristaltik

Bakterien als Schrittmacher des Darms

Forschungsteam aus Kiel deckt Verbindung zwischen Mikrobiom und für eine gesunde Darmfunktion unverzichtbaren Gewebekontraktionen auf

Abbildung: Christoph Giez, Dr. Alexander Klimovich

Spontane Kontraktionen des Verdauungstrakts spielen bei den allermeisten Lebewesen eine wichtige Rolle, um eine gesunde Darmfunktion zu gewährleisten. Von einfachen wirbellosen Tieren bis hin zum Menschen sind es durchweg ähnliche Bewegungsmuster, die durch das rhythmische Zusammenziehen der Muskulatur den Darminhalt transportieren und durchmischen. Diese Kontraktionen des Darms sind für den Verdauungsprozess unverzichtbar und werden in der Wissenschaft als Peristaltik bezeichnet.

Bei verschiedenen Krankheiten des Verdauungstraktes, zum Beispiel gravierenden entzündlichen Darmerkrankungen des Menschen, liegen Störungen der natürlichen Peristaltik vor. Bislang ist wenig erforscht, durch welche Faktoren diese Kontraktionen gesteuert werden. Ein Forschungsteam aus der Arbeitsgruppe Zell- und Entwicklungsbiologie am Zoologischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) konnte nun erstmals belegen, dass die Bakterienbesiedlung des Darms eine wichtige Regelfunktion für die Peristaltik übernimmt. Ihre am Beispiel des Süßwasserpolypen Hydra gewonnenen Erkenntnisse veröffentlichten die Kieler Forschenden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Scientific Reports.

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Das typische Kontraktionsmuster des Süßwasserpolypen Hydra: Im Laufe von drei Minuten zieht sich das Tier stark zusammen und entspannt sich anschließend wieder vollständig.
Quelle: Andrea Murillo-Rincon, Dr. Alexander Klimovich

Auslöser der normalen, spontanen Kontraktionen des Muskelgewebes sind sogenannte Schrittmacherzellen des Nervensystems. In einem gewissen Rhythmus senden sie elektrische Impulse aus, deren Entladungen keiner äußeren Stimulation bedürfen. Diese Impulse erreichen schließlich die glatte Muskulatur der Darmwand und sorgen dafür, dass diese sich zusammenzieht. Obwohl die Impulse an sich gewissermaßen von selbst ablaufen, unterliegen ihre Häufigkeit und Stärke dennoch externen Einflüssen. „Das Beispiel des einfachen Süßwasserpolypen Hydra hat uns gezeigt, dass die Bakterienbesiedlung des Tieres die Kontraktionen seiner Körperhöhle beeinflussen kann und dabei vermutlich in die Steuerung der zugrundeliegenden Schrittmachersignale eingreift“, fasst Professor Thomas Bosch, Leiter der Studie und Sprecher des Sonderforschungsbereichs 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“, zusammen. Hydren verfügen anders als höher entwickelte Lebewesen über keinen Darm im eigentlichen Sinne. Ihre einfache Körperhöhle übernimmt aber neben anderen auch die Funktion eines Verdauungstrakts; das umgebende Gewebe zeigt ebenfalls die für den höher entwickelten Darm typischen Kontraktionen.

Links: Nervenzellen der Hydren (in grün) erzeugen elektrische Impulse, die zu Kontraktionen der Muskelfasern im Gewebe der Körperhöhle führen.
Rechts: Die Kontraktionen des Körpers werden von Nervenzellen (in grün) ausgelöst; Bakterien (in rot) greifen dabei in den Regelmechanismus der diesem Ablauf zugrundeliegenden Schrittmacherzellen ein.
Abbildungen: Christoph Giez, Dr. Alexander Klimovich

Um herauszufinden, wie die Peristaltik bei den Süßwasserpolypen gesteuert wird, verglichen die Forschenden normale, mit der typischen Bakterienbesiedlung ausgestattete Tiere mit solchen, deren Mikrobiom mit Hilfe eines Antibiotikums vollständig entfernt wurde. Diese auch als keimfreie Polypen bezeichneten Tiere ohne Bakterienbesiedlung zeigten im Vergleich eine ungefähr auf die Hälfte reduzierte Anzahl an Kontraktionen, zugleich geriet der Takt der Bewegung durcheinander und die Pausen zwischen den Kontraktionen waren teilweise deutlich länger. Das Fehlen des typischen Mikrobioms verursachte also bei Hydra eine gravierende Einschränkung der peristaltischen Bewegungen der Körperhöhle.

In einem nächsten Schritt stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine gewisse Bakterienbesiedlung der keimfreien Tiere wieder her. Zunächst siedelten sie die fünf häufigsten Bakterienarten des Hydra-Mikrobioms jeweils einzeln wieder in den keimfreien Polypen an. Es zeigte sich, dass diese einseitige Bakterienbesiedlung keinen nennenswerten Effekt auf die Häufigkeit und den Takt der Kontraktionen hatte. Erst die gemeinsame Wiedereinführung der fünf Hauptvertreter des Mikrobioms führte zu einer deutlichen Erholung der Peristaltik, obwohl sich auch in diesem Fall das Muster der Kontraktionen nicht vollständig normalisierte. Einen ähnlichen positiven Einfluss hatte interessanterweise auch ein aus den besiedelnden Bakterien hergestellter Extrakt.

Wir konnten erstmals belegen, dass in unserem einfachen Modellorganismus das Mikrobiom eine unverzichtbare Funktion für die Häufigkeit und den Takt der Gewebekontraktionen übernimmt

Thomas Bosch

Das Kieler Forschungsteam schloss daraus, dass nur das natürliche und vom Gleichgewicht der vertretenen Bakterienarten gekennzeichnete Mikrobiom bei Hydra eine wichtige Schrittmacherfunktion für die Peristaltik übernehmen kann. Sie fanden heraus, dass in diesem Fall bestimmte von den Bakterien abgesonderte Moleküle in den Regelmechanismus der Schrittmacherzellen eingreifen können. So können bakterielle Signale entscheidend auf das Muster der spontanen peristaltischen Kontraktionen einwirken. „Wir konnten erstmals belegen, dass in unserem einfachen Modellorganismus das Mikrobiom eine unverzichtbare Funktion für die Häufigkeit und den Takt der Gewebekontraktionen übernimmt“, betont Bosch.

Das Beispiel des entwicklungsgeschichtlich ursprünglichen Modellorganismus Hydra zeige zudem, dass die Steuerung wichtiger Lebensprozesse vielzelliger Lebewesen durch ihre bakteriellen Symbionten bereits sehr früh in der Entwicklung des Lebens entstanden ist, so Bosch weiter. Daher seien die neuartigen Erkenntnisse besonders auch für die medizinische Forschung vielversprechend: „Die grundlegende Entschlüsselung der Zusammenarbeit von Organismus und Mikrobiom bei der Steuerung der Peristaltik wird uns künftig dabei helfen, die Entstehung schwerwiegender Krankheiten zu verstehen, die auf einer gestörten Beweglichkeit des Darms beruhen“, fasst Bosch zusammen.


Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

23.11.2017

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