Artikel • Notfallmedizin

Ultraschall kann Leben retten

„In der Notaufnahme spielt die Sonographie eine entscheidende Rolle für die Diagnostik und die Therapieüberwachung“, unterstreicht Prof. Dr. Joseph Osterwalder, ärztlicher Leiter des Kantonalen Spitals in Appenzell:

Bericht: Michael Krassnitzer

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, in der Notfallsituation ohne Ultraschall auszukommen.“ Als die DEGUM, die ÖGUM und die SGUM vor etwa zehn Jahren in gemeinsam erarbeiteten Leitlinien den hohen Stellenwert der Sonographie in der Notfallmedizin festschrieben, sorgte dies zum Teil für hochgezogene Augenbrauen. „Aber wir waren Pioniere in Europa“, unterstreicht Osterwalder: „Jetzt ziehen die anderen Länder nach.“

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Prof. Dr. Joseph Osterwalder, FESEM, MPH ist ärztlicher Leiter des Kantonalen Spitals in Appenzell.

„In Notsituationen kann Ultraschall Leben retten“, betont der Schweizer Notfallmediziner. Der menschliche Körper sei eine „Black Box“, man könne zwar den Patienten befragen, ihn mit den Händen untersuchen, vielleicht sogar Röntgenbilder anfertigen und ein Blutbild erstellen. „Aber all diese Hilfsmittel sind relativ ungenau. Der Ultraschall ist eine ganz wertvolle Ergänzung, weil er Sicherheit gibt“, betont Osterwalder. Eine Lungenentzündung oder ein Darmverschluss lassen sich mittels einer Sonographie deutlich früher erkennen als am Röntgenbild. Bei einem Patienten mit schwerer Atemnot lässt sich mit einer Ultraschalluntersuchung bereits während der Intubation feststellen, ob etwa eine zentrale Lungenembolie vorliegt. Bei Patienten mit schwerem Unfalltrauma kann der Ursprung innerer Blutungen lokalisiert werden. Sogar eine Perikardtamponade, also eine Blutung in den Herzbeutel hinein, lässt sich mit Ultraschall schnell erkennen. „Diese Diagnose konnte man früher ohne Ultraschall nur vermuten“, bekräftigt Osterwalder: „Mit Ultraschall hingegen kann ich innerhalb von 30 Sekunden sagen: dieser hat Patient hat eine Perikardtamponade, einen Pneumothorax, Blut im Bauch oder in der Lunge.“

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Patient mit unklarem schweren Schock. Der Point-of-Care-Ultraschall innerhalb 10 Minuten zeigt eine Septumperforation (apikaler Kurzachsenschnitt) wahrscheinlich Tage nach inapperzept verlaufendem Myokardinfarkt. Schnelle Übergabe an Herzchirurgie - Patient überlebt.

Allerdings unterscheidet sich die Ultraschalluntersuchung in der Notfallaufnahme von einer herkömmlichen sonographischen Untersuchung. Zum einen handelt es sich um eine fokussierte Sonographie, die sich ausschließlich um die in der Notfallsituation relevanten Diagnosen kümmert. „Wenn ein Verdacht auf eine Appendizitis vorliegt, dann schaut man in der Notaufnahme nur auf den Blinddarm. Ein etwaiges kleines Karzinom in der Nebenniere wird nicht erkannt“, erläutert Osterwalder. Zum anderen ist die Sonographie auf der Notaufnahme eine Point-of-Care-Sonographie. Das heißt, sie wird vor Ort vom behandelnden Arzt selbst durchgeführt. Und zu guter Letzt ist es eine fächerübergreifende Untersuchung. Bei einem Traumapatienten etwa betreffen die Fragestellungen mehrere Fachbereiche: Hat er Flüchtigkeit im Bauchraum? Hat er Flüssigkeit ums Herz herum? Hat er Flüchtigkeit um die Lunge herum? Befindet sich Luft zwischen den beiden Lungenblättern (Pneumothorax)?

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Patientin mit massiver Dyspnoe und Kreislauf-Instabilität. Angio-CT war unter diesen Umständen nicht möglich. Der Point-of-Care- Ultraschall (4-Kammerblick) innerhalb der ersten Minuten zeigt einen vergrößerten rechten Ventrikel und Thrombus im rechten Vorhof als Ausdruck einer zentralen Lungenembolie. Schnelle Übergabe an Intensivstation - Patientin überlebt.

Aus meiner Sicht müsste jeder Arzt im Studium die Grundlagen der Sonographie erlernen

Joseph Osterwalder

Glaubt man Osterwalder, dann liegt die Zukunft in der personalisierten Sonographie. Das bedeutet: Jeder Arzt trägt sein eigenes Ultraschallgerät in der Manteltasche. „Der Ultraschall wird das Stethoskop ablösen“, ist Osterwalder überzeugt – nicht nur in der Notaufnahme, sondern auch in der Arztpraxis und bei der Visite in Spitälern. Mittlerweile gibt es handliche Ultraschallsonden, die sich über eine App kabellos mit einem Smartphone oder einem iPad verbinden lassen. „Es gibt bereits Produkte, die nur 2.000 Franken kosten. Die liefern natürlich nicht hervorragende, aber recht gute Bilder, die für eine Triage genügen“, erzählt der Schweizer Notfallmediziner. Bei einem Patienten, der mit Rücken- bzw. Flankenschmerzen vorstellig wird, lässt sich damit gut erkennen, ob zum Beispiel die Aorta vergrößert oder geplatzt ist oder ob das Nierenbecken infolge eines Nierensteins erweitert ist.

„Aus meiner Sicht müsste jeder Arzt im Studium die Grundlagen der Sonographie erlernen“, sagt Osterwalder. Doch in Deutschland, Österreich und der Schweiz sei man davon noch weit entfernt. Anders in den USA: Dort wird an vielen Medizinuniversitäten Anatomie bereits mit Hilfe von Handheld-Ultraschallsonden unterrichtet. Osterwalder: „Es gibt hierzulande Universitäten, an denen Studenten derartige Initiativen ergriffen haben, aber in den Curricula wird der Sonoanatomie noch viel zu wenig Gewicht beigemessen.“


Profil:

Prof. Dr. Joseph Osterwalder, FESEM, MPH ist seit April dieses Jahres ärztlicher Leiter des Kantonalen Spitals in Appenzell. Zuvor war er seit 1988 Leiter der Notfallabteilung des Kantonalen Spitals St. Gallen. Der Schweizer Notfallmediziner, der in Zürich studierte und sich in Genf habilitierte, ist Professor emeritus der Universität Genf. Osterwalder ist Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Fachgesellschaften, kann auf über 250 Publikationen verweisen und ist bei der DEGUM Kursleiter für Weiterbildungskurse der Stufe III.


Veranstaltungshinweis:

Raum: Split-Meeting 11

Mittwoch, 11. Oktober 2017, 13:00 – 14:30

AWS Notfallsonographie Teil 3: Hämodynamik

Schock ohne Trauma – septisch?

Joseph Osterwalder (St. Gallen/CH)

11.10.2017

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