Erfahrung

25 Jahre Point-of-Care-Ultraschall in der Anästhesie

Dr. Thomas Grau, Chefarzt für Anästhesiologie und operative Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin am Klinikum Gütersloh, befasste sich seit den 90er Jahren am Universitätsklinikum Heidelberg im Rahmen seiner Habilitation über spinale Bildgebung intensiv mit Ultraschall. 25 Jahre später betrachtet er die heutige Rolle des Point-of-Care-Ultraschalls in der Anästhesie.

Priv.Doz. Dr. Thomas Grau, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und...
Priv.Doz. Dr. Thomas Grau, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensiv-, Notfall- und Schmerzmedizin.
Photo: 25 Jahre Point-of-Care-Ultraschall in der Anästhesie

Ich war an der Universität Heidelberg  mit dem Projekt befasst neue Methoden für die Epiduralanästhesie in der Geburtshilfe zu entwickeln. Hier gab es die Idee, dass Point-of-Care-Ultraschall zur Detektion des Epiduralraumes und zur Steuerung der Punktionskanülen eingesetzt werden sollte. Durch effektivere Epiduralanästhesien sollten bessere Blockaden erreicht werden und durch die Vorhersage des Punktionsweges sollten auch Komplikationen verringert werden. Damals konnte der Epiduralraum nur sehr oberflächlich dargestellt werden. Das Vorwissen zur Ultraschallbildgebung in dieser Region war begrenzt. Also mussten wir uns zunächst mit der „Sono-Topographie“ auseinandersetzen. Dies gestaltete sich anfangs recht schwierig, da das Rückenmark von vielen kalzifizierten Strukturen umgeben ist, die eine ganze Reihe von Artefakten verursachen können. Auch die Bildqualität der Ultraschallgeräte war noch nicht so gut, wie sie heute ist. Wir konnten jedoch Ultraschallaufnahmen mit CT- und MRT-Bildern vergleichen und Serien von Untersuchungen bei Kindern durchführen, da diese weniger Verkalkungen aufweisen, was eine bessere Darstellung des Spinalraumes ermöglicht hat. Wir entwickelten nützliche Konzepte zur Untersuchung des Rückenmarks und insbesondere Verfahren zur Bildgebung des Epidural- und Intrathekalraums. Zeitgleich wurde von einer ebenfalls renommierten Arbeitsgruppe aus Wien an der Entwicklung von peripheren Nervenblockaden und der Darstellung der peripheren Nerven gearbeitet. Peter Marhofer und Stephan Kapral hatten bereits Verfahren für ultraschallgesteuerte supraklavikuläre und periphere Nervenblockaden erarbeitet und umgesetzt. Beide Gruppen haben die bildgebenden Verfahren in die Regionalanästhesie eingeführt und hier für die entscheidende Entwicklung gesorgt.

Nach der Habilitation in Heidelberg wechselte ich auf eine Stelle als Oberarzt an das Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum, dem größten Traumazentrum Europas. Hier hatte ich viele Möglichkeiten, meine Methoden in der Regionalanästhesie weiterzuentwickeln und meine Ideen für Punktionstechniken und in der Schmerztherapie umzusetzen. Zugleich wurden hier verschiedene diagnostische Verfahren für die Anästhesie entwickelt. Die Struktur dieses stark frequentierten Traumazentrums wird in hohem Maße durch seine berufsgenossenschaftliche Trägerschaft beeinflusst.. Dank der Fördergelder, die dem Klinikum zur Verfügung stehen, werden hervorragende chirurgische, schmerztherapeutische und physiotherapeutische Standards gewährleistet. Aus anästhesiologischer Sicht bedeutet dies eine individuelle, differenzierte Herangehensweise an die Behandlung akuter und chronischer Schmerzen und die optimale Mobilisation der Patienten. Dieses Vorgehen machte ich mir auch in meiner neuen Position als Leiter der Anästhesie in Gütersloh zu Eigen und habe diese auch in unsere klinischen Konzepte integriert.

Nun bin ich seit sechs Jahren in Gütersloh tätig. Einer meiner persönlichen Gründe für den Wechsel hierher war die Möglichkeit, an einem breiten Spektrum von Fällen in der klinischen Medizin zu arbeiten. Das Klinikum Gütersloh ist ein mittelgroßes Krankenhaus mit rund 500 Betten (220 chirurgische und weitere 270 internistische). Hier wird eine große Bandbreite an Fachgebieten abgedeckt, einschließlich Abdominal- und Thoraxchirurgie, Orthopädie, Notfallmedizin, vaskuläre Chirurgie, plastische Chirurgie und Wiederherstellungschirurgie, Gynäkologie und Urologie. Wir führen jährlich rund 11.000 Anästhesieverfahren durch. Der Regionalanästhesieanteil liegt bei etwa 25% und neuerdings behandeln wir auch Patienten mit chronischen Schmerzen.

Als ich nach Gütersloh wechselte, fühlte sich das Team anfangs nicht ganz sicher im Umgang mit bildgebenden Verfahren in der Regionalanästhesie und in der Anästhesie. Wir fingen mit einfachen Techniken an und haben mit Hilfe von Ultraschall Zentralvenenkatheter gelegt und dann relativ einfache periphere – interskalenäre und femorale – Nervenblockaden durchgeführt. Ebenfalls führten wir diagnostische Techniken für die Ultraschallbildgebung in der Anästhesie ein. Die ärztlichen Kollegen und die Verwaltung erkannten schon bald, dass diese Techniken viel schneller, effizienter und sicherer für die Patienten sind und zudem auch kostengünstig. Also entwickelten wir ein Trainingsprogramm, das sich an den Kursen orientierte, die wir zuvor in Heidelberg und Bochum etabliert und durchgeführt haben. In den letzten Jahren haben wir in Gütersloh mehr als 30 Weiterbildungskurse abgehalten, die von Teilnehmern aus ganz Deutschland sowie aus der Schweiz, den Niederlanden und Österreich besucht wurden. Die zweitägigen Kurse sind sehr umfangreich und beinhalten viele praktische Übungen mit den neuesten Point-of-Care-Ultraschallsystemen darunter auch einige von FUJIFILM SonoSite. Ziel der Kurse ist es, Punktionstechniken zu verbessern und die Diagnostik in der Anästhesie zu optimieren. Wir schulen Anästhesisten in der sicheren Durchführung ultraschallgesteuerter Eingriffe. Hierbei legen wir einen besonderen Schwerpunkt auf die Vermeidung von Komplikationen, indem wir mögliche interventionelle oder diagnostische Probleme und deren Lösungen besprechen.

Die Kursteilnehmer untersuchen in den Ultraschallkursen die oberen und unteren Extremitäten, Bereiche des Rumpfs etc. Wir verwenden als Modelle bewusst Probanden unterschiedlicher Gewichtsklassen und Größe. Die Kursteilnehmer untersuchen hier die Umgebung von Nerven, Faszien, Muskeln und Knochen. Hierbei ist sehr wichtig, sich klar zu machen, dass der menschliche Bauplan trotz anatomischer Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Personen nicht hundertprozentig perfekt ist. Meiner Schätzung nach ist eine standardisierte „normale“ Anatomie nur bei 70 % der Patienten zu finden. Rund 30 % der Patienten oder Probanden haben einen davon abweichenden Bauplan. Dies ist das Hauptproblem, bei dem der Ultraschall mit einer patientennahen Bildgebung einen überlegenen Vorteil bietet. Bei der Bildgebung für Punktionstechniken spielt es keine Rolle, ob der Patient drei Jahre alt ist oder 95, ob er klein oder groß ist, schlank oder dick, ob er muskulös ist oder nicht. Es spielt keine Rolle, ob seine topographische Anatomie dem Lehrbuch entspricht oder nicht, die Blockade ist sicher und erfolgreich. Bei ultraschallgesteuerten Eingriffen weiß man immer genau, wie man bei der Injektion vorgehen muss, und ähnliches zeigt sich auch bei den diagnostischen Verfahren. Die Realität im OP ist, dass es keine idealen Patienten gibt. Variabilität oder auch Pathologie ist eine Spielregel des Lebens - sie wird mit bettseitiger Bildgebung spielend und sicher beherrscht.

Seit über 20 Jahren arbeite ich daran, Punktionstechniken zu verbessern und unter visueller Kontrolle zu erleichtern. Die Vorgehensweisen in der Anästhesie und in der Regionalanästhesie haben sich zweifellos sehr stark verändert. Obwohl die Trainingsprogramme erfolgreich in der klinischen Ausbildung sind, ist die Finanzierung der Bildgebung nach wie vor eines der Hauptprobleme, die den flächendeckenden Einsatz des Point-of-Care-Ultraschalls in ganz Europa einschränkt. Daher ist die zusätzliche Unterstützung von Unternehmen wie FUJIFILM SonoSite so wichtig. Man weiß heute, dass ultraschallgesteuerte Eingriffe schneller, effektiver und sicherer sind. Obwohl dieses Verfahren den Ärzten hilft, die Patienten besser zu behandeln, ist die Kostenerstattung und die Investition in diese Verfahren noch nicht geregelt. Dies mag daran liegen, dass das Bewusstsein für das Potenzial dieser Technik noch nicht stark genug ausgeprägt ist. Früher oder später, so hoffe ich, wird es aber keine Diskussion mehr darüber geben, ob Ultraschall eingesetzt werden sollte oder nicht. Die patientennahe Bildgebung wird einfach ein Bestandteil vieler wichtiger Verfahren in der Anästhesie sein.

11.11.2016

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