Telemedizin

Deutsche und polnische Kinderonkologen vernetzen sich

Eine erfreuliche Wasserstandsmeldung von Ostsee und Oder: Das binationale Projekt Telemedizin Pomerania ist inzwischen ein fester Bestandteil der medizinischen Versorgung in der nordöstlichsten Region Deutschlands und des angrenzenden Polen. „Das größte grenzüberschreitende medizinische Telenetzwerk der Europäischen Union ist in der klinischen Routine angekommen und die verschiedenen Projekte tragen sich selbst frei von Zuschüssen“, erklärt Prof. Norbert Hosten, Vorsitzender des an der Greifswalder Universität angesiedelten Vereins ‚Telemedizin in der Euroregion Pomerania‘.

Photo: Deutsche und polnische Kinderonkologen vernetzen sich
Quelle: Shutterstock/suns07butterfly

Seit 2001 haben Kliniken in Vorpommern, Nordbrandenburg und der polnischen Wojewodschaft Westpommern daran gearbeitet, ein gemeinsames Netzwerk für den Austausch von Patientendaten als auch der Mediziner untereinander aufzubauen. Zuletzt wurde ab 2011 die Digitalisierung in den polnischen Krankenhäusern weiter vorangetrieben, so dass dort zwischen der pommerschen Universität in Stettin und dem Krankenhaus in Gryfice Teleradiologie betrieben werden kann, wie sie diesseits der Oder schon seit einigen Jahren Praxis ist.

Aber nichts liegt den Machern ferner, als sich auf diesem Erfolg auszuruhen. Im Gegenteil. Mit der Eröffnung des deutsch-polnischen Kinderkrebszentrums an der Universität Greifswald im August 2016 wird die Telemedizin auf eine neue Stufe gehoben. „Das bisherige Projekt ist sehr in den Disziplinen Radiologie, Pathologie und Videokonferenz verhaftet. Jetzt möchten wir erstmalig dazu übergehen, Patienten grenzüberschreitend zu behandeln. Als ich mir überlegt habe, wer das Projekt weiter entwickeln kann, kam nur Prof. Dr. Holger Lode in Frage. Denn er hat bereits die Kontakte zu den deutschen und polnischen Kliniken, die von der Digitalisierung und der fortschreitenden Telemedizin sehr profitieren können“, so der Greifswalder Radiologe.

Lodes Kinderkrebsstation wird ein wichtiger Teil des neuen Zentrums sein. Auf deutscher Seite werden weiterhin die Kliniken in Bernau und Schwedt (Brandenburg) assoziiert sein: „Wir bilden das Zentrum um eine bereits existierende Kooperation mit polnischen Kollegen und binden das Ganze telemedizinisch ein. Einer unserer wichtigsten Partner ist die Universitätsmedizin Stettin. Aber auch Kliniken, die weiter östlich und sogar außerhalb der eigentlichen Förderregion liegen, wie die der Universität in Krakau, sind mit im Boot für das deutsch-polnische Kinderkrebszentrum.“

Bislang besteht in Vorpommern ein Verbund von Kinderonkologen, die sich regelmäßig treffen, um Patienten zu besprechen, Therapien zu planen und auch diagnostische Methoden zu diskutieren. Kinderonkologe Lode hofft, dass diese Treffen künftig mit einer höheren Frequenz stattfinden können und die Telemedizin den Zugriff auf primäre Daten im Sinne einer Tumorkonferenz gestattet. Aber neben der technischen Einbindung geht es ihm auch um eine inhaltliche Weiterentwicklung. „Wir möchten unserer Behandlung eine neue Qualität geben, indem wir direkte Patientenkontakte mit Hilfe der Telemedizin herstellen, d.h. eine Arzt-Patient-Situation schaffen. Gerade wenn man Therapieentscheidungen und diagnostische Schritte plant, ist es von erheblicher Bedeutung, den Patienten und seinen klinischen Zustand selbst einschätzen zu können. Dadurch können wir den Kindern und ihren Familien unnötige Reisen ersparen.“

Auf diese Weise profitieren alle assoziierten Kliniken von Lodes Expertenwissen. Denn erst wenn er nach der telemedizinischen Konsultation die Indikation für die Erkrankung sieht, reist das Kind auch wirklich nach Greifswald und unterzieht sich der spezialisierten Behandlung. Diese besteht aus zwei Hauptbestandteile: einer Radionuklidtherapie mit Jod und einer neuen Immuntherapie mit Antikörpern. „Mit beiden Therapien in Kombination erzielen wir gute Wirkungen, die den Patienten wirklich helfen und zu erfreulichen Überlebenskurven führen.“

Bei anderen Krebserkrankungen, wie Leukämien und anderen soliden Tumoren, verbleiben die Kinder oftmals auf der Kinderkrebsstation in der Nähe ihres Wohnortes. Dank der Telemedizin können Lode und seine Kollegen die behandelnden Ärzte im Konsiliardienst unterstützen. Aber auch wenn die Kinder nach Greifswald kommen, können die Eltern in ihrer Nähe sein. Dank des Elternhauses der Kinderklinik und psychosozialer Angebote können auch die Familien erkrankter Kinder gut betreut werden.

Für den Betrieb des deutsch-polnischen Kinderkrebszentrums müssen noch einige bauliche und technische Veränderungen bei den Projektpartnern durchgeführt werden. Für die Realisierung hat die Universitätsmedizin Greifswald gemeinsam mit polnischen und brandenburgischen Partnern den Antrag für eine Förderung des Zentrums in Höhe von 8,5 Millionen Euro durch die fünfte Förderphase des INTERREG-Programms gestellt. „Bislang sind die Signale sehr positiv und wir sind optimistisch, die Arbeit des deutsch-polnischen Kinderkrebszentrums im August aufnehmen zu können“, sind sich Prof. Hosten und Prof. Lode sicher. Wenn alles richtig läuft, sollen die Erfolge bei der Behandlung des Neuroblastoms als Curriculum allen an der Therapie beteiligten Disziplinen über eine E-Learning-Plattform zur Verfügung gestellt werden.

PROFILE:
Prof. Dr. Norbert Hosten ist seit 2001 Lehrstuhlinhaber für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie an der Universität Greifswald. Die Arbeitsschwerpunkte des Neuroradiologen liegen in der MRT, der Interventionellen Radiologie und der Telemedizin. Der gebürtige Düsseldorfer studierte, promovierte und habilitierte sich an der Freien Universität Berlin. Von 2013 bis 2015 war Prof. Hosten Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft.

Prof. Dr. Holger Lode wurde 2009 auf den Lehrstuhl für Pädiatrie der Ernst-Morizt-Arndt- Universität Greifswald berufen und leitet seither die Abteilungen Allgemeine Pädiatrie und  Pädiatrische Hämatologie und Onkologie an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Universitätsmedizin Greifswald. Nach dem Medizinstudium in Tübingen und an der Brown University in Richmond und mehrjährigen Forschungsprojekten im Labor für Tumorimmologie von Professor R.A. Reisfeld in La Jolla in Kalifornien kam er 2000 an die Charité.

Veranstaltungshinweis:
conhIT, 20. April 2016, 12:30 – 12.50 Uhr, Saal 3
Working with Health-IT systems beyond borders
Prof. Dr. N. Hosten, Direktor des Instituts für Diagnostische Radiologie und Neuroradiologie an der Universität Greifswald
Session 12: International markets - Cracking the European Code

19.04.2016

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