Reanimation

"It takes a system to save a life"

Das Überleben nach Herz-Kreislauf-Stillstand wird von vier Faktoren bestimmt: der Dauer des reanimationsfreien Intervalls, dem reibungslosen Funktionieren der Rettungskette, der bestmöglichen Behandlung nach Wiederbelebung und der stetigen Verbesserung der Reanimationsmaßnahmen.

Photo: It takes a system to save a life
Quelle: panthermedia.net / Yuriy Klochan

Daran beteiligt sind nicht nur Rettungsdienste, Feuerwehr und Ärzte. Dazu gehören auch Laien, Politiker, Juristen, Arbeitgeber, Kostenträger, Schulen oder Städte und Landkreise. Denn eine Verbesserung des gesamten Systems, weit über die Grenzen der „klassischen“ Rettungskette hinaus, erhöht die Überlebensrate nach plötzlichem Herztod deutlich. Das zeigt auch der Blick in europäische Nachbarländer. An der Entwicklung und vor allem der Umsetzung solcher Maßnahmen für Deutschland arbeitete bereits zum dritten Mal ein interprofessionelles 60-köpfiges Expertenteam im Rahmen der Bad Boller Reanimationsgespräche vom 12. bis 13. Februar 2016. Ihr Ziel: Nicht nur fordern, sondern handeln und damit mehr Leben retten. Die in Bad Boll entstanden Konzepte und Ideen finden bundesweit ihren Niederschlag in zahlreichen Projekten und Initiativen. Dreh- und Angelpunkt der entwickelten Maßnahmen sind die „10 Thesen für 10.000 Leben“.

Bei über 75.000 Menschen in Deutschland wird jedes Jahr mit Reanimationsmaßnahmen begonnen. Dann zählt jede Sekunde. „Doch schon weit vorher müssen die Weichen für das reibungslose Ineinandergreifen aller Glieder der Rettungskette und für eine optimale Postreanimationsbehandlung gestellt werden“, beschreibt Professor Dr. med. Thea Koch, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und Direktorin der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie des Dresdner Uniklinikums, einen wesentlichen Faktor für höhere Überlebensraten. Denn die Gesamtüberlebensraten sind bislang niedrig. Weniger als 10 Prozent, die präklinisch einen Herzstillstand erlitten und fast 20 Prozent der Patienten nach innerklinischem Herzstillstand verlassen lebend das Krankenhaus. Auch die Region in der es zu einem Herz-Kreislauf-Stillstand kommt, hat Auswirkungen auf die Überlebensraten. Das kann an den Hilfsfristen oder an der Ausstattung der lokalen Rettungsdienste und Kliniken liegen. Auch die Qualität der Reanimationsmaßnahmen spielen eine Rolle. „Deshalb müssen wir weiter konsequent alle Versorgungsabschnitte analysieren und optimieren“, sagt Privat-Dozent Dr. med. Jan-Thorsten Gräsner, Sprecher des Deutschen Reanimationsregisters und Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin (IRuN) am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.

Wie hoch ist Ihre Reanimationsqualität? – Mehr Daten für mehr Überlebende

Je höher die Qualität der Reanimationsmaßnahmen (CPR), desto höher die Überlebensrate. Obwohl dieser Aussage keiner widersprechen würde, gibt es keine bundesweit einheitlichen Standards. Das gilt für die Auswahl und die Implementierung von Reanimationsmaßnahmen genauso wie für deren Messung und Qualitätsverbesserung. „Nur klare und bundesweit einheitliche Definitionen von Kennzahlen und Methoden verbessern die Qualität der CPR und legen den Grundstein für weitere Verbesserungen der Überlebensraten“, sagt Gräsner. Das deckt sich auch mit den Forderungen des European Resuscitation Councils in seinen Leitlinien für die Herz-Lungen-Wiederbelebung und die kardiovaskuläre Notfallversorgung sowie anderen internationalen Empfehlungen. Wir brauchen hierfür Parameter, die objektiv messbar sind, so der Experte weiter. Diese so genannte CPR-Metrix erlaubt es, aus vorhandenen Defibrillatoren, Qualitätsmarker zur Druckfrequenz, zur Drucktiefe und zu Pausen während der Reanimation, also zu No-Flow-Phasen, einheitlich und vergleichbar zu erhalten. Diese können und sollten den beteiligten Rettungsdiensten direkt zur Verfügung stehen. Innerhalb des Deutschen Reanimationsregisters wird hierfür ein zusätzliches Modul zur Kombination mit den bereits erfassten Daten zur Verfügung gestellt werden. „Denn nur was wir messen, können wir verbessern“, stellt Gräsner fest.

Unser Ziel: Verbesserung der Überlebensrate durch Cardiac-Arrest-Zentren

Ein weiterer entscheidender Baustein zur Verbesserung des Überlebens ist die Qualität der Postreanimationsbehandlung. Spezialzentren können hier die Versorgung verbessern. Die neuen Leitlinien zur kardiopulmonalen Reanimation 2015 sehen daher die Behandlung in sogenannten Cardiac-Arrest-Zentren vor. Hier werden Prognose-relevante therapeutische Interventionen wie die akute Koronarintervention, ein zielgerichtetes Temperaturmanagement und eine Leitlinien-gerechte Prognostizierung auf höchstem Niveau vorgehalten und durchgeführt. Entscheidende Argumente für die Behandlung von Patienten in Zentren sind auch die Spezialisierung und die Erfahrung sowie die damit einhergehende Qualität. „Für Cardiac-Arrest-Zentren gab es in Deutschland bisher noch keine einheitlichen und evidenzbasierten Standards ihrer Struktur-, Prozess-, und Ergebnis-Qualität“, sagt Professor Dr. med. Bernd W. Böttiger, Vorsitzender des Deutschen Rates für Wiederbelebung und Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am Uniklinikum Köln. Der Deutsche Rat für Wiederbelebung hat gemeinsam mit seinen Mitgliedsgesellschaften daher aktuell die dafür notwendigen Kriterien erarbeitet und wird diese nach entsprechender Abstimmung vorstellen.

“It takes a system to save a life”

Die Ergebnisse der Reanimations-Forschung der letzten Jahrzehnte zeigen vor allem eines: einzelne Maßnahmen, isoliert angewendet, werden keinen Durchbruch bei der Erhöhung der Überlebensrate bringen. „Um Verbesserungen zu erreichen, ist ein systemischer Ansatz erforderlich, der alle Akteure einbezieht. Dazu gehört der Laie, der Augenzeuge eines plötzlichen Herztodes wird, ebenso wie die Rettungsleitstelle als erstes professionelles Glied der Rettungskette, die den Ersthelfer bei der Wiederbelebung anleitet. Rettungsfachpersonal und Notärzte, die bei jedem Einzelfall eine qualitativ hochwertige Wiederbelebung durchführen und weiterversorgende Kliniken, die ohne Verzögerungen die richtige Intervention für den Patienten einleiten, sind weitere zentrale Bausteine. Aber auch übergeordnete Institutionen und Gremien, die durch den Vergleich von Kennzahlen eine qualitativ hochwertige Versorgung jedes Betroffenen sicherstellen, gehören zum System“, stellt Dr. med. Hartwig Marung, Oberarzt und Leiter des Bereichs Qualitätsmanagement am Institut für Rettungs- und Notfallmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, fest. „Wollen wir 10.000 zusätzliche Leben retten, müssen die Anstrengungen dafür als gesamtgesellschaftliche und hoheitliche Aufgabe betrachtet werden. Denn nur gemeinsam können wir etwas ändern“, fasst Professor Dr. med. Götz Geldner, Präsident des Berufsverbandes der deutschen Anästhesisten (BDA) und Ärztlicher Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie im Klinikum Ludwigsburg, das Selbstverständnis der beteiligten Experten zusammen.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und lntensivmedizin e.V.

11.04.2016

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