Interview • Angiographie

Ein frischer Blick auf das akute Aortensyndrom

Technologische Neuerungen in der Computertomographie haben eine wahre Bilddatenexplosion ausgelöst. Auf der einen Seite, so Professor Dr. Geoffrey Rubin, gibt es den unablässigen Ansturm neuer Erkenntnisse aus der Bildgebung, auf der anderen Seite aber reagiert die Medizin meist verhalten auf diese Erkenntnisse: Es dauert lange, bis neue diagnostische Konzepte akzeptiert werden und ein Konsens dazu gefunden ist.

Paradebeispiele sind seiner Meinung nach Innovationen wie die Dual-Energy-CT oder die multispektrale Bildgebung, die schon mehr zehn Jahre auf dem Markt sind, aber bis heute Denkanstöße liefern, die die Radiologen intensiv beschäftigen. Mit seinem Vortrag zu „CT Angiography of the Aorta“ möchte Prof. Rubin, Ko-Präsident des 9. Internationalen Symposiums Mehrschicht CT, zu einem besseren Verständnis beitragen, „wie wir die Bilder, die wir zum akuten Aortensyndrom generieren, am besten interpretieren“.

Was gibt es Neues, was wir bei der CTA beachten müssen?

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Was genau die Bezeichnung „akutes Aortensyndrom” bedeutet, ist nicht endgültig definiert, sondern verändert sich ständig. Seit mehr als 30 Jahren spukt dieses Krankheitsbild in unseren Radiologen-Köpfen herum; aber seit der Einführung der CT und in gewissem Maße auch der MRT beginnen wir das Phänomen besser zu verstehen als zu der Zeit, als das radiologische Handeln noch von der konventionellen Angiographie geprägt war. Heute wissen wir, dass die ursprünglichen Beschreibungen des akuten Aortensyndroms den Kern der Sache nicht wirklich treffen – dass wir einen anderen Denkansatz für das akute Aortensydrom brauchen.

Können Sie uns ein Beispiel geben?

Das intramurale Hämatom (IMH) wurde ursprünglich als Blutansammlung in der Aortenwand beschrieben – ähnlich wie bei einer Aortendissektion, bei der keine Verbindung zwischen falschem und echtem Lumen besteht. Das IMH spielt bei allen Arten des Aortensyndroms eine wichtige Rolle und ist ein Hinweis auf den Schweregrad einer Anomalie. Streichen wir IMH aus der Liste, bleiben zwei Pathologien: Aortendis-sektion und penetrierendes aortales Ulkus (PAU). Eine dritte Pathologie, über die nicht so häufig gesprochen wird, ist das rupturierte thorakale Aortenaneurysma, das ebenfalls ein akutes Aortensyndrom verursacht, aber bisher nicht auf der Liste steht. Wir gingen bisher von einer Dreier-Kombination aus, bei der wir das IMH als einen Spezialfall der Blutansammlung in der Aortenwand definiert haben. Heute sagen wir, das IMH ist ein Bildgebungsbefund, den wir sowohl bei der AD, dem PAU als auch der neu hinzugekommenen Pathologie des rupturierten thorakalen Aortenaneurysmas sehen.

Ein frischer Blick auf das akute Aortensyndrom

Haben diese neuen Erkenntnisse einen Einfluss auf das klinische Management der betroffenen Patienten?

Das ist eine gute Frage. Das klinische Management hängt ja von mehr Faktoren ab als nur der Identifizierung einer Pathologie, sondern auch von ihrer Lage. Im Falle einer Aortendissektion kann man den Patienten entweder sofort operieren und ihn eine Weile beobachten oder ihn zu einer Intervention ins Katheterlabor schicken. Bis heute gibt es viele unterschiedliche Behandlungswege und sehr wenige gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über die beste Therapie.

Die Bestimmung der Pathologien allein reicht nicht aus, um unmittelbar daraus das Patientenmanagement abzuleiten. Was sie aber klären, ist die zugrundeliegende Krankheit, die das Problem ausgelöst hat. Die Pathologien können je nach Ursachen klassifiziert werden, obwohl die letztendliche Ursache bei allen identisch ist: die Aortenwand wird bei dem Versuch, den Blutfluss aus dem Herzen zu schaffen, beschädigt. Wird die Wand tatsächlich komplett zerstört, ist das eine Katastrophe für den Patienten.

Was wir tun, ähnelt dem, was ein Polizist macht, wenn er einen Unfall aufnimmt.

Prof. Geoffrey Rubin

Wir verstehen sehr gut, was wir sehen. Was wir tun, ähnelt dem, was ein Polizist macht, wenn er einen Unfall aufnimmt: Er sieht das verunfallte Fahrzeug und muss nun versuchen, den Unfallhergang zu rekonstruieren. War es einziger großer Crash oder war es eine Verkettung von mehreren kleinen Unfällen? War ein anderes Fahrzeug beteiligt oder ist der Unfallwagen ohne Fremdeinwirkung die Böschung heruntergestürzt? Genau darauf werde ich mich konzentrieren: Wie ist es zu dem Unfall gekommen? Das ist ein ausgesprochen facettenreiches und komplexes Thema – mir geht es nicht so sehr darum aufzuzeigen, was nach dem Unfall getan werden muss.

Ich möchte diskutieren, wie wir das Konstrukt „akutes Aortensyndrom“ besser erkennen und besser beschreiben können. Das Wesentliche dabei ist sicherzustellen, dass jeder, der einen Patienten behandelt, umfassend versteht, was das Problem ist und was genau der Scan zeigt. Wir sprechen über wesentliche Beobachtungen, die es zu machen gilt – und warum sie wesentlich sind.

Was können Ihre Zuhörer lernen?

Ich werde erläutern, wie man die CT-Scans macht, um genau diese wichtigen Erkenntnisse auch zu erhalten. In manchen Fällen benötigen wir ein spezielles Akquisitionsverfahren, etwa ein unverstärktes und ein verstärktes CT-Bild ohne Kontrast. Ein weiteres Beispiel ist das Cardiac Gating, bzw. der Gating-Zeitpunkt. Normalerweise verwenden wir Gating für die Koronargefäße, weil es uns diese Technik ermöglicht, die Bewegung der Koronargefäße einzufrieren. Gating kann aber auch bei der Beurteilung der Aorta sehr hilfreich sein – darüber werde ich sprechen.

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Prof. Rubin, Ko-Präsident des 9. Internationalen Symposiums Mehrschicht CT.

Profil:
Geoffrey Rubin, MD, MBA, ist George Geller Professor für Radiologie und ehemaliger Chair der Radiologieabteilung der Duke University in Durham, North Carolina. Der Forschungsschwerpunkt des ehemaligen Präsidenten der renommierten Fleischner Society ist die Verbindung von kardiovaskulärer und pulmonaler CT und MRT mit neuen Bildverarbeitungstechniken, die zur Unterstützung von Diagnose und Therapieplanung Strukturen erkennen, charakterisieren, quantifizieren und visualisieren.


Veranstaltung
Donnerstag, 21.01.2016, 11:10 Uhr
CT Angiography of the Aorta
Geoffrey D. Rubin, Durham, USA
Session: Kardiovaskuläre CT

21.01.2016

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