MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM

Vernetzung im Gesundheitsbereich hat viele Facetten

Vernetzung aus dem Krankenhaus in die Schule: Die Themen beim MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM gehen weit über das hinaus, woran man spontan beim Stichwort Vernetzung denkt. An den neuen Laufzeittagen von Montag bis Donnerstag deckt das Forum in Messehalle 15 im Rahmen der mit gut 4.800 Ausstellern weltgrößten Medizinmesse MEDICA 2015 (16. bis 19. November) ein breites inhaltliches Spektrum ab: von vernetzten Healthcare Systemen, über das Internet der Dinge, „Wearable Technologies“ bis hin zu „Medical Apps“.

MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM in Halle 15.
MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM in Halle 15.
Quelle: Messe Düsseldorf

Gleich zwei Projekte beschäftigen sich mit jungen Langzeit-Patienten, die den Kontakt zur Schule und den Schulfreunden nicht verlieren wollen und auch nicht sollen. Eines davon sind die „Avatar Kids“. Bei diesem Schweizer Projekt ist der Avatar-Roboter „Nao“ das Bindeglied zwischen der Schule oder dem Zuhause und dem Langzeitpatienten im Krankenhaus. Hergestellt wird die Verbindung über das Internet. Der Avatar-Roboter vertritt das Kind in der Schule und ermöglicht ihm, in Echtzeit "anwesend" zu sein und "live" am Schulunterricht teilzunehmen. „Nao ist sehr beliebt“, beschreibt Jean Christophe Gostanian, CEO von Avatarion Technology. Die Schulkinder nehmen wahr, dass der fehlende Klassenkamerad im Roboter steckt – und finden dies zumeist cool. Sehen können sie ihren Klassenkamerad über einen Tablet-PC (von Samsung), der am Kopf des beweglichen Roboters angebracht ist. Dabei ist der Avatar-Roboter kein Spielzeug. Er wird zwar dem besten Schulfreund des jungen Patienten gegeben, der Lehrer aber steuert den Roboter mit einem eigenen Tablet-PC. Hier sieht er beispielsweise auch, was der junge Patient im Krankenhaus schreibt.

Vier Unikliniken und zwanzig Stationen beteiligen sich bereits am Projekt. Kontakte gibt es laut Christophe Gostanian nach Italien, Belgien, Holland und Frankreich. In Deutschland wird das Projekt beim MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM erstmals einer größeren Fachöffentlichkeit vorgestellt.

Der Einsatz des Avatar-Roboters „Nao“ soll dabei nicht bloß aufs Klassenzimmer beschränkt bleiben. Zum einen sollen die Roboter helfen, die Kinder beispielsweise über bevorstehende Eingriffe aufzuklären. Über das Gerät am Kopf des Roboters kann der Schüler-Patient sich aber auch via Internetverbindung auf den Schulhof „beamen“ oder bei der Klassenfahrt mit dabei sein. Außerdem lässt sich natürlich auch eine Verbindung zwischen der Familie und dem Kind im Krankenhaus damit realisieren. Dies kann insbesondere in den Abendstunden wichtig sein, wenn kleine Patienten alleine sind. Zukünftig ist auch ein Einsatz im Altersheim geplant – wo „Nao“ beispielsweise Fragen stellt, Yoga- und Bewegungsübungen vormacht oder Fragen zum Wetter beantwortet, aber auch Bingo-Zahlen ziehen könnte. Die Erfahrungen mit den Avatar Kids scheinen jedenfalls ermutigend. Die Patienten im Alter zwischen sechs und 17 Jahren freuen sich über die neuen Möglichkeiten, und die Ärzte entscheiden, wie viel ihre Patienten leisten können.

„Smart Cities“-Projekt in Hamburg

„Manche Patienten bekommen von uns eine schlimme Diagnose. Aber schlimmer ist es für sie, wenn sie vollkommen aus ihrem bisherigen sozialen Umfeld gerissen werden.“ Das schildert auch Professor Christian Gerloff, stellvertretender Ärztlicher Direktor und Leiter der Abteilung Neurologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Abteilung Neurologie. In einem von Cisco geförderten Projekt in der Kinderklinik des UKE wird langzeiterkrankten Kindern mittels Videotechnologie die Möglichkeit gegeben weiterhin an ihrem Schulunterricht teilzunehmen. Dieses Projekt findet im Rahmen von „Smart Cities“ statt, bei dem Cisco und die Stadt Hamburg zusammenarbeiten. Unter dem Stichwort „Schule und Gesundheit“ ermöglicht dies konkret dem langzeiterkrankten Thorben, aktiv und mit seinen Klassenkameraden und Lehrern am Schulunterricht per Audio- und Videoübertragung teilzunehmen.

Ausgerüstet mit iPad und darauf installierten Video Soft Client ‚JAbber’ kann Thorben dabei die Kamera auf einem in seiner Klasse befindlichen Wagen steuern. „Wir müssen den Wagen nur morgens in den Klassenraum rollen, das Stromkabel in die Steckdose stecken, und die Steckerleiste einschalten. Wenn sich Thorben einschaltet, dann hören wir ein leises Geräusch und wissen, er ist da“, schildert Christina Iserhot, Thorbens Klassenlehrerin. Tatsächlich nimmt Thorben rege am Unterricht teil.

„Unser Ziel war es, Kinder aus ihrer Isolation herauszuholen und ihnen zu ermöglichen aktiv am Schulunterricht teilzunehmen. Wenn jemand im Hintergrund tuschelt oder etwas herunterfällt, dann bekommt Thorben das mit und ist in der Lage, die Kamera danach auszurichten“, erläutert Till Osswald, Business Development Manager EMEA Healthcare bei Cisco. Das Pilotprojekt wurde mittlerweile um einen weiteren Schüler erweitert, einen 17-jährigen Gymnasiasten. „Die Erfahrungen zeigen, dass die Nutzer sehr schnell die Technologie annehmen, begreifen und sofort wieder sozial inkludiert sind.“ Das Projekt wurde in Zusammenarbeit von der Firma Avodaq, Cisco und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entwickelt und umgesetzt. Mittlerweile gibt es fünfzig Anmeldungen auf der Warteliste allein aus Hamburg.

Besondere Dynamik im Bereich der „Wearables“

Auch das „Internet der Dinge“ und „Wearables“ haben das Potenzial, zum unabdingbaren Bestandteil einer Zukunft der vernetzten Gesundheit zu werden. Im Rahmen des MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM und der „WT Wearable Technologies Show“ (ebenfalls in MEDICA-Halle 15, Stand A 23) werden rund dreißig Unternehmen aus der gesamten Wertschöpfungskette zeigen, wohin ihrer Meinung nach die Reise geht. Es werden nicht nur Geräte präsentiert, sondern auch die neuesten Technologien, die diese überhaupt erst ermöglichen. Christian Stammel, Gründer und CEO der WT Wearable Technologies Group, betont insbesondere die modernen Möglichkeiten der Datenverarbeitung, die durch tragbare Technologien wie Sensoren enorme Fortschritte gemacht haben. Was ursprünglich im privaten Bereich von der Quantified-Self-Bewegung und zum Self-Tracking getragen wurde, werde sich zunehmend auch im Gesundheitswesen etablieren und ältere Technologien verdrängen. Das Spektrum der Geräte reicht von Lifestyle Produkten wie der Apple Watch, über intelligente Brillen und Hörgeräte, so genannten „Hearables“, bis hin zum neuesten Trend – intelligenten Pflastern, die über Sensoren kontinuierlich Körperdaten abrufen, aber beispielsweise auch minimal-invasiv Medikamente verabreichen können.

Smarte Pflaster auf dem Weg zu Multi-Talenten

Im Vergleich zu T-Shirts mit integrierten Sensoren ist das Risiko von Artefakten beispielsweise bei smarten Pflastern wesentlich geringer und die Produkte sind quasi unsichtbar. Besonders für Diabetiker könnten diese „Smart Patches“ zukünftig eine große Erleichterung bedeuten. Stammel gibt das Beispiel des „Diabetes Care’s FreeStyle Libre“, das von der FDA zugelassen wurde. Eine europäische Zulassung steht zwar noch aus, aber: Dies sei ein Pflaster zur Blutzuckermessung, das beim Duschen, Schwimmen und beim Sport getragen werden könne und nur alle zwei Wochen gewechselt werden müsse. Mittels schmerzfreiem Scan erhält der Patient binnen einer Sekunde den aktuellen Glukosewert, die Glukosedaten der letzten acht Stunden und einen Trend bezüglich der Richtung des Glukosewerts. Als ein weiteres Beispiel für die Nützlichkeit von Smart Patches nennt Christian Stammel „UpRight“, das am Rücken getragen, die Körperhaltung überwacht. Das Produkt gehöre zur Generation der „Trainables“; es schlägt Alarm, wenn die Körperhaltung falsch ist und hilft, sie zu korrigieren. Dies zeigt einen neuen Trend auf: Die dauerhafte Korrektur durch die Geräte beispielsweise von Fehlhaltungen. Beim MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM werden auch Mitaussteller des Wearable Technologies Gemeinschaftsstands die neuen intelligenten Pflaster präsentieren, zum Beispiel Feeligreen und RootiLabs.

Was tun, wenn der Patient die Daten selbst erhebt?

Eine andere ernstzunehmende Tendenz ist, dass Ärzte zunehmend mit Daten konfrontiert werden, die von Geräten stammen, die nicht für den medizinischen Bereich zertifiziert sind. Christian Stammel ist sich sicher, dass auch diese Produkte verlässliche Daten liefern. „Der Arzt sollte diese Daten nicht einfach als irrelevant abtun.“ Die vom Patienten mitgebrachten, selbsterhobenen Daten bringen nach seiner Meinung zumindest einen Richtwert für ein Gespräch, vielleicht tragen sie zur Diagnose und Therapiefindung bei. Qardio sei hierfür ein gutes Beispiel. Das Unternehmen wird beim MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM und am Wearable Technologies Gemeinschaftsstand unter anderem Produkte für die Blutdruck-, ECG- und EKG-Messung vorstellen. Die Geräte sollen sehr anwenderfreundlich sein und sich mit einem ansprechenden Design perfekt in den Alltag einfügen.

Für Wearables sind auch klinische Anwendungen denkbar

Wearable Technologies können auch bei der Optimierung von Prozessen und der Organisation in Krankenhäusern unterstützen; sie können zum Beispiel dabei helfen, Dekubitus zu vermeiden. Mittels Sensoren wird ermittelt, ob der Patient bewegt wurde oder nicht und kann dem Krankenhauspersonal als Erinnerungsstütze dienen. Christian Stammel betont: „Viele bereits verfügbare Technologien können heute auch ohne große infrastrukturelle Maßnahmen eingesetzt werden.“

Er sieht die künftigen Herausforderungen nicht im technischen Bereich. Die Technik sei vorhanden. Vielmehr sieht Stammel die Schwierigkeit des Fortschritts in der Entwicklung sinnvoller Applikationen, Algorithmen und Datenanalysen. Sensoren, die bereits in Smart Watches zum Einsatz kommen, würden nicht ausreichend genutzt. Besonders in der Veränderung und Beobachtung von Verhaltensweisen durch die mobilen Geräte sieht Stammel einen zukunftsweisenden Trend. Für Krankenhäuser und Ärzte bietet das MEDICA CONNECTED HEALTHCARE FORUM insbesondere am Montag, 16. November, und Mittwoch, 18. November, eine Möglichkeit, sich über die neuen Entwicklungen zu informieren. Dabei stellt Wearable Technologies nicht nur Geräte vor, sondern auch andere wichtige Bestandteile der Wertschöpfungskette. Markus Siebert, TÜV SÜD Produkt Service GmbH, geht beispielsweise auf die Prüfung von Wearables als medizinische Geräte ein.

Und App geht´s – bei der MEDICA APP COMPETITION

Am Dienstag, 17. November 2015, geht es bei der MEDICA APP COMPETITION um die beste Medical App für den professionellen Einsatz im Arzt- und Klinikalltag. Im Fokus steht dabei laut Organisator Mark Wächter, Vorstand des MobileMonday Germany, also ausdrücklich nicht der Verbrauchermarkt von Fitness- und Wellness-Apps. Vom 10. August bis 10. Oktober 2015 können App-Entwickler aus aller Welt ihre Medical App zur Teilnahme am Wettbewerb einreichen. Diese Einreichungen werden vom MEDICA-Experten-Team vorselektiert. Zehn Developer-Teams können sich so für die Teilnahme am Live-Pitch bei der MEDICA qualifizieren. Alle nominierten Medical Apps werden während der MEDICA 2015 live auf der Bühne in Halle 15 vorgeführt und anschließend der Gewinner von einer hochkarätig besetzten Jury vor Ort gekürt. Kriterien sind dabei, neben der Nutzerfreundlichkeit vor allem das Geschäftsmodell und der Beitrag zur Prozessoptimierung bzw. Effizienzsteigerung. Im vorigen Jahr siegte mit „Medopad“ eine Suite von iPad-Anwendungen, die es ermöglicht, erfasste Gesundheitsdaten sicher in bestehende Datenbanken einzufügen und auf dem Tablet zur Verfügung zu stellen.

Quelle: Messe Düsseldorf/Autor: Dr. Lutz Retzlaff, freier Medizinjournalist (Neuss)

15.09.2015

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