Artikel • Hirnwindungen

Die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub

Arteriovenöse Malformationen (AVM, Angiom) am Hirn kommen sehr selten vor, sie haben eine Prävalenz von nur 0,15 Prozent. Da viele Patienten nicht einmal mit Symptomen konfrontiert sind, fallen AVMs meist zufällig in der Bildgebung auf.

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DSA Bild einer frontalen AVM.

Schwierig ist auch die Behandlung dieser seltenen Erkrankung, denn oft geht es nicht nur um eine Entscheidung für oder gegen einen Eingriff. Findet ein Eingriff statt, müssen vor allem die Kollateralschäden für den Patienten möglichst gering gehalten werden. Privatdozent Doktor Jan-Hendrik Buhk, Facharzt für Radiologie mit Schwerpunkt Neuroradiologie und Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neuroradiologische Diagnostik und Intervention in Hamburg, rät Kollegen daher zur Überweisung an ein spezialisiertes Zentrum.

AVMs sind unter anderem deshalb potentiell gefährlich, weil sie Blutungen im Hirn nach sich ziehen können. Bestenfalls trägt der Patient leichte Defizite davon, schlimmstenfalls verstirbt er. Die meisten AVM treten im Frontal-, im Parietal- oder im Temporallappen auf und sind asymptomatisch oder gehen mit Symptomen wie epileptischen Anfällen, fokalen Defiziten oder Kopfschmerzen einher. „Die AVM zu diagnostizieren ist nicht selten ein Zufallsgeschäft, in dem Auffälligkeiten im MRT, CT oder in der Angiographie beobachtet werden. Zudem gibt es nicht ausreichend Kriterien, aufgrund derer der Arzt entscheiden kann, ob ein minimalinvasiver oder offen chirurgischer Eingriff notwendig wird oder nicht", so Buhk.

Immerhin, ein paar Kriterien gibt es doch. „Hat eine AVM bereits geblutet, sollte man tendenziell über eine Behandlung nachdenken. Da diese Erkrankung häufig Aneurysmen in Venen oder Arterien mit sich bringt, sollte bei überschaubarem Risiko auch hier über einen Eingriff nachgedacht werden“, erklärt der Neuroradiologe und führt weiter aus: „Andererseits treten oft große, sehr komplexe AVMs auf, bei denen bereits vorher sehr wahrscheinlich ist, dass der Patient durch einen Eingriff Schäden davon tragen wird. In solchen Situationen ist oft eher von einer Therapie abzuraten, auch wenn diese Entscheidung schwer fällt.

Komplexe Behandlung, schwierige Entscheidung

Durch das Spritzen eines Embolisats produziert man einen künstlichen Schlaganfall

Jan-Hendrik Buhk

Die Therapie der AVM gestaltet sich komplex. Die klassische neuroradiologische Behandlung ist der Eingriff über den Katheter: Ein flüssiges Embolisat, meistens präzipitierend, wird in das Angiom gespritzt, wo es aushärtet. „In der Regel funktioniert das gut. Das eigentliche Problem ist, dass die Arterien, die zu den AVMs führen, häufig auch gesundes Hirngewebe mitversorgen. Spritzt man ein Embolisat, zerstört man dann leider nicht nur das Angiom, sondern auch gesundes Hirngewebe. Man produziert einen künstlichen Schlaganfall“, erläutert Buhk. Die Behandlung per Bestrahlung ist keine wirkliche Alternative, wenn im Falle einer großen oder ungünstig gelegenen Malformation zu viel gesundes Hirnareal mit bestrahlt wird. „Die Schwierigkeit der zu treffenden Entscheidung liegt darin, abzuwägen, ob es sich lohnt, einen Patienten von einer asymptomatischen, zufällig gefundenen Erkrankung zu heilen, ihm durch die Behandlung jedoch einen Schlaganfall zuzufügen, durch den er bleibende Schädigungen davontragen kann“, verdeutlicht der Facharzt das Dilemma.

„Das Wichtigste im Umgang mit dieser Krankheit ist die persönliche interdisziplinäre Erfahrung. Deshalb lautet mein Rat an niedergelassene Kollegen oder Kollegen aus kleineren Häusern, von AVM betroffene Patienten in entsprechende Zentren zu überweisen“, so Buhk. Das Problem dabei ist, dass es nicht viele Zentren in Deutschland mit derartiger Spezialisierung gibt. Selbst in Hamburg laufen aufgrund der Seltenheit dieser Erkrankung nur wenige Dutzend Patienten pro Jahr auf. „Man braucht ein gut durchdachtes Konzept im Haus und ein effizientes Team, sowohl neuroradiologisch-interventionell als auch neurochirurgisch“, ergänzt der Oberarzt.

Studien sind kaum möglich

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Privatdozent Doktor Jan-Hendrik Buhk, Facharzt für Radiologie mit Schwerpunkt Neuroradiologie und Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neuroradiologische Diagnostik und Intervention in Hamburg.

Die Seltenheit und Komplexität der Erkrankung erschwert leider auch deren systematische Erforschung anhand von Studien. 2014 wurde erstmals eine Studie publiziert, die allerdings direkt nach ihrer Veröffentlichung stark kritisiert wurde. Diese so genannte ARUBA-Studie (A Randomized Trial of Unruptured Brain Arteriovenous Malformations) empfiehlt bei nicht ruptierten Angiomen ein konservatives Management unter sorgfältiger Beobachtung des Patienten. Sie setzt auf die Überlegenheit der konservativen vor der interventionellen Therapie. Insbesondere rät sie von Eingriffen ab, bei denen die Fehlbildung nur teilweise verschlossen werden kann. In dieser Studie wird allerdings auch festgehalten, dass für die Festlegung von geeigneten Kriterien zur jeweils richtigen Behandlungsstrategie deutlich längere Beobachtungszeiträume und weitere prospektive Studien nötig sind. „Das Problem ist, dass sowohl die Erkrankung, als auch die Gefährdung für das Gehirn eines jeden Patienten sehr individuell ist. Bei einer solchen Ausgangslage sind Therapiestudien mit zufälliger Zuordnung des Patienten zum Behandlungsverfahren nicht gut geeignet und generelle Aussagen nicht möglich“, so Buhk.


Profil:

Jan-Hendrik Buhk ist Facharzt für Radiologie mit dem Schwerpunkt Neuroradiologie und Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Neuroradiologische Diagnostik und Intervention in Hamburg. Der in Hamburg promovierte und vielfach publizierte Facharzt legt seine Schwerpunkte auf die vaskuläre Bildgebung und Interventionen sowie speziell auf Flat-Panel CT, Modelle von Aneurysmen und die Translation zum Magnetic Particle Imaging.

Veranstaltungshinweis:
Ort: Hotel Renaissance, Raum Berlin
Freitag, 04.11.2016, 14.00-14.30 Uhr
Endovaskuläre Behandlung von AVM nach ARUBA
Jan-Hendrik Buhk, Hamburg
Session: DeGIR Modul – Spezialkurs E+F

03.11.2016

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