Assistenzsystem für die minimal-invasive Wirbelsäulenchirurgie. Robotergeführte Anlage von Schrauben an einem Modell der Lendenwirbelsäule im Rahmen des Forschungsprojekts Zentrum für Sensor Systeme (ZESS), Universität Siegen und Neurochirurgie Karlsruhe.

Artikel • Interventionell

Roboter: Zukunftsmusik in der Neurochirurgie?

„Der autonom handelnde Roboter im OP wird noch lange eine Zukunftsvision bleiben“, versichert Prof. Dr. Uwe Spetzger, Klinikdirektor und Facharzt für Neurochirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe. Gleichzeitig fordert er die Weiterentwicklung und Förderung dieser innovativen Technologien seitens der Politik und ein Umdenken der Kostengeber. „Denn fernab von ethischen Diskussionen, in die man angesichts dieses Themas schnell gleitet, ist ein Assistenzsystem in manchen Fällen verlässlicher als der menschliche Kollege“, bringt es der Neurochirurg auf den Punkt.

Ein Rückschritt in der Wissenschaft

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Der große Boom der medizinischen Robotertechnologie in Deutschland ist rund 15 Jahre her. Von Ende der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre eroberten Roboter die Operationssäle und es wurden mit diesen Systemen häufig wenig erfolgreich und mehr oder weniger autonom Hüft-Operationen durchgeführt. Der Erfolg dieser robotergeführten Operationen blieb jedoch aufgrund von Fehlern aus. „Diese Fehler waren menschengemacht und eigentlich recht banal, denn die Roboter waren häufig nicht richtig programmiert; Berechnungen wurden falsch durchgeführt und Anwenderfehler passierten“, sagt Spetzger und führt weiter aus, „im Prinzip waren diese Roboter hoch präzise und leisteten gute Arbeit an Werkstücken. Jedoch waren sie eigentlich nicht speziell für den Medizinmarkt fabriziert, sondern zumeist aus der Automobilbranche adaptiert.“ Was folgte, waren ein genereller Vertrauensverlust und ein Rückschritt der roboterassistierten Operationen. „In diesem Zusammenhang ist nicht nur ein Schaden für manche behandelte Patienten, sondern auch ein riesiger Schaden für die Wissenschaftslandschaft entstanden, denn als Konsequenz dieser Erfahrungen wurde kein einziger EU- oder DFG-Antrag mehr genehmigt, in dem das Wort Robotik genannt wurde“, bedauert der Neurochirurg.

Ein Neuanfang?

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Doch langsam erwacht das Interesse an roboterassistierten Operationen erneut. Mit dem in den USA entwickelten Da Vinci-Operationssystem, das hauptsächlich auf ferngesteuerten Assistenzsystemen basiert, und den Zweck hat, kleine Kamerasysteme und kleine Instrumente direkt vor Ort zu bringen, arbeiten im Karlsruher Klinikum vor allem Urologen, Abdominalchirurgen und Gynäkologen. „Für die minimal-invasive Chirurgie tief im Bauchraum ist dieses System hervorragend geeignet“, erklärt Spetzger, schränkt die Vorteile jedoch direkt ein: „Als Neurochirurg können Sie mit diesem System leider gar nichts anfangen. Das Problem ist schlicht der benötigte Zugang zum Operationsgebiet. Sie müssten dem Patienten vier, fünf Löcher in den Kopf bohren, um eine Kamera, ein Haltesystem und den Aktorarm vor Ort ins Gehirn zubringen. Das wäre eine Katastrophe.“

Dabei könnte gerade die Neurochirurgie von einer Weiterentwicklung dieser Technologie profitieren, denn sie verwendet vorwiegend Haltesysteme für Endoskope oder Instrumente. „Bei dieser Anwendung ist der Roboter fast verlässlicher als der menschliche Kollege, denn er arbeitet exakt vorausberechnet, hoch präzise und zittert nicht, was gerade in den Hirnregionen ein großer Vorteil ist“, betont Spetzger. Die Neurochirurgie beruht auf Operationen mit bildgebenden Verfahren, jeder Hirneingriff wird navigiert operiert, die Computerassistenz ist somit heute Standard. „Da ist der Weg zur Teilautomatisierung eigentlich nicht weit“, so Spetzger.

Noch sind die meisten Assistenzsysteme viel zu groß und wenig handlich. „Vor allem aber zu teuer“, stellt der Neurochirurg klar, „das Da Vinci System beispielsweise arbeitet mit Einmalinstrumenten, die man nach jeder Operation wegwerfen muss. Somit ist ein Kostenmehraufwand von ca. 2.500 Euro erforderlich, im Grunde also bereits der Betrag, der für Pflege, Medikamente und Hosting des Patienten nach der Operation benötigt wird. Hier besteht noch klarer Korrekturbedarf.“

Verbesserungsbedarf für die Zukunft

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Prof. Dr. Uwe Spetzger, Klinikdirektor und Facharzt für Neurochirurgie am Städtischen Klinikum Karlsruhe.

Gerade auf Seiten der Politik und der Kostengeber sieht der Neurochirurg Verbesserungsbedarf und erhofft sich mit der MEDICA die richtige Plattform, um Umstrukturierungen anzuregen. „Es existieren viele Firmen, die auf dem Gebiet der Robotik Innovationen vorzeigen können. Diese sollte man fördern“, schlägt Spetzger vor.

Einen erneuten Rückschlag wie vor 15 Jahren bei den robotergeführten Hüftoperationen kann er sich nicht vorstellen. „Moderne Assistenzsysteme arbeiten nicht autonom“, erläutert er, „auch damals hat sich nicht etwa die Maschine verbohrt, sondern es wurden schlicht Berechnungs- und Bedienungsfehler gemacht. Die Arbeit mit einem Roboter in der Medizin setzt ein gutes Training und Fortbildungen voraus.“

Eine schnelle Entwicklung hin zu komplett autonomen Assistenzsystemen sieht Spetzger, der auch einen Lehrauftrag am Lehrstuhl für Robotik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) innehat, nicht. „Momentan ist das Verfahren gerade mal für gewisse Operationen an der Wirbelsäule etabliert. Ein Wirbel ist eher wie ein Werkstück zu handhaben. Man kann Fixierungsschrauben und Drähte anbringen und so mit kleinen präzisen Führungsapparaturen chirurgische Teilschritte einer OP durchführen. Am Hirn funktionieren solche Eingriffe bislang schon bei stereotaktischen Biopsien, Parkinson- oder Epilepsiebehandlungen mit Implantation von Stimulationssonden, weil das System ganz langsam und gezielt einen vorberechneten Weg entlangfahren kann, oder bei der robotisch-geführten stereotaktischen Präzisionsbestrahlung mittels CyberKnife.“

Fragt man Spetzger nach einer Zukunftsprognose bezieht er klar Stellung: „Ich sehe ein solches autonomes System auch in etwas fernerer Zukunft nicht. Mit unserer bisherigen Technologie ist das einfach nicht vorstellbar. Einer Maschine fehlt jegliche Intuition und auch die differenzierte Problemerkennung und –analyse, die man als Mensch hat, fehlt bei einer Maschine. So bleibt der autonom operierende Roboter in der operativen Medizin wohl auch in der weiteren Zukunft Science Fiction.“


Profil:
Uwe Spetzger absolvierte sein Medizinstudium an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg sowie am UZH Zürich. Nach mehreren Stationen unter anderem in Aachen, Brüssel und den USA wurde Spetzger 2002 zum Direktor der Neurochirurgischen Klinik im Städtischen Klinikum in Karlsruhe ernannt. Seit 2005 ist er Fakultätsmitglied der Universität Karlsruhe (KIT), Fachbereich Informatik, Institut für Anthropomatik und seit 2013 Kooperationspartner des RadioChirurgicums – CyberKnife Zentrum Südwest (roboter-geführte stereotaktische Präzisionsbestrahlung). Er ist Mitglied vieler nationaler und internationaler Fachgesellschaften, unter anderem Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Computer und Roboter-assistierte Chirurgie (CURAC) sowie past-president der international Society of Medical Innovation and Technology (iSMIT) und der 66. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) im Juni 2015 in Karlsruhe.

12.08.2016

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