Trends
Über das neue Gleichgewicht zwischen in vivo und in vitro
Die vier wesentlichen Trends Digitalisierung, Miniaturisierung und Molekularisierung/Biologisierung und Personalisierung werden auch in den kommenden Jahrzehnten die Medzintechnik prägen, davon ist Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rode, Inhaber des Lehrstuhls für Angewandte Medizintechnik der Medizinischen Fakultät an der RWTH Aachen fest überzeugt.
Report: Brigitte Dinkloh
Digitalisierung
Die Digitalisierung ist ein ubiquitärer Megatrend, der nicht nur die Medizin sondern alle Lebensbereiche erfasst und miteinander vernetzt. In der Medizintechnik und in der Radiologie ist die Digitalisierung allerdings noch nicht ausgereift: Bei RIS und KIS besteht Optimierungsspielraum, vor allem im Hinblick auf die Interoperabilität der Daten. Die Frage der Speicherung immer größerer Datenmengen muss gelöst werden. „Es würde sich anbieten, die Daten in zentralen Registern zu speichern und damit einzelne unterkritische Daten so zusammenzuführen, dass sie überkritisch und damit analysierbar werden. Das ist eine Riesenchance, vor allem für die neuen medizintechnischen Verfahren, die anhand von Studien ihren Nutzen und ihre Evidenz nachweisen müssen“, so Schmitz-Rode. Aus der Analyse großer Datenmengen, dem Knowledge-Engineering, könnte mehr medizinische Evidenz geschaffen werden. Und natürlich katalysiert die fortschreitende Digitalisierung auch Telemedizin und Telemonitoring.
Miniaturisierung
Ein weiterer wichtiger Trend in der Medizin, den die Forscher ausgemacht haben, ist der Miniaturisierungstrend, hier vor allem die implantierbare Sensorik und Aktorik. „Wenn Sensorik und Aktorik in Implantaten miteinander verschaltet werden, entstehen intelligente mechatronische und theranostische, also therapeutische und diagnostische Implantate, die autonom im Körper arbeiten können, wie zum Beispiel bei Schrittmachern. In Aachen forschen wir an implantierbaren Lungenarteriendrucksensoren, die wie ein Schrittmacherkabel durch das rechte Herz hindurch eingesetzt werden können“, erklärt der Professor. Bei Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz kann bei einer leichten Druckerhöhung, dem Frühzeichen einer Dekompensation, das Aggregat reagieren und eine kardiale Resynchronisationstherapie einleiten, so dass die drohende Dekompensation abgewendet werden kann.
Auch für Diabetiker wären Miniaturisierungen hilfreich mit implantierbaren Blutzuckersensoren und Insulinpumpen. Allerdings stelle die Langzeitstabilität des Sensors noch ein Problem dar, da es schwierig sei, das Interface zwischen dem Messsystem und dem Blut so stabil zu halten wie es für Langzeitwerte erforderlich ist. Auch in der Radiologie ist die Miniaturisierung in Form von Ultraschall mit Laptop und iPhone längst Realität.
Biologisierung und Personalisierung
Einen weiteren Entwicklungsschritt stellen die Implantate mit biologischer Komponente dar. Durch die Integration von Körperzellen sind sie biomimetisch und harmonieren besser. Die sogenannten biohybriden Systeme stellen besondere Herausforderungen an Produktion, Qualitätssicherung und Standardisierung dar. „Bei der Molekularisierung soll die Funktionalität von Implantaten verbessert werden. Ein Stent, der mit körpereigenem Endothel ausgekleidet ist, verursacht auch keine Thrombose mehr. Neben der Molekularisierung stellt dieses Verfahren auch eine Personalisierung per se dar. Ebenso wie jeder interventionelle radiologische Eingriff, denn der trägt den momentanen Gegebenheiten eines Patienten Rechnung“, so Schmitz-Rode.
Die Rolle der Radiologie
Bei immer kleineren und besser funktionierenden Implantaten, die minimal invasiv implantiert werden, kommt der Radiologie eine zentrale Rolle zu. Denn nur mit bildgesteuerten Modalitäten können die Implantate passgenau eingebaut werden. Weiterhin prognostiziert der Aachener Forscher, dass die fortschreitende Digitalisierung zu einem medizinischen Internet führen wird, einem Web of Medicine, wo sich jeder informieren kann, zum Beispiel über Präventionsstrategien und persönliches Gesundheitsmanagement. „Der Einzelne wird schon aus finanziellen Gründen mehr Verantwortung übernehmen müssen. Dadurch wird der Einsatz von Ärzten an der persönlichen Gesundheitssicherung abnehmen. Bei mündigeren Patienten wird die Radiologie ihre Diagnostik noch gezielter einbringen müssen.“ Schmitz-Rode sieht die zentrale Zukunftsfrage darin, wie viel Diagnostik in vivo und wie viel in vitro erstellt werden kann. Also wie viel Diagnostik schon durch neue Verfahren wie Genomanalyse bis hin zu Point-of-Care (PoC)-Untersuchungen vorweggenommen werden kann. Schmitz-Rode: „Die Gewichtungen werden sich verschieben. Die Diagnostik wird gezielter eingesetzt werden, und man wird das Feld aufteilen zwischen in vivo und in vitro und zwischen klinischer Bildgebung und Laboranalytik.“
PROFIL
Prof. Dr. Dipl.-Ing. Thomas Schmitz-Rode erhielt 2003 den Ruf auf die C3-Professur für Experimentelle Diagnostische und Interventionelle Radiologie und 2005 auf die C4-Professur für Angewandte Medizintechnik der Medizinischen Fakultät der RWTH Aachen. Seit 2003 ist er Mitglied des Lenkungskreises des Nationalen Strategieprozesses Medizintechnik von BMBF, BMG und BMWi. Er gehört dem Steuerkreis des Themennetzwerks Gesundheitstechnologie der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech) und dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) an. Schmitz-Rode hat mehr als 220 Originalarbeiten verfasst und mehr als 170 Patentanmeldungen und Patente.
01.07.2015