Deutlich überlegen
Die MR/PET bei Kopf-Hals-Tumoren
Die Weiterentwicklung von MR/PET-Systemen in der klinischen Diagnostik verspricht eine verbesserte und genauere Diagnosestellung im Kopf-Halsbereich, meint Prof. Minerva Becker, Leiterin des Bereichs HNO und Gesichts-Radiologie am Genfer Universitätsklinikum.
Die Kombination hochauflösender und funktioneller MRT-Informationen mit den molekular-metabolischen PET-Daten in einer einzigen Untersuchung wird eine deutlich verbesserte Diagnostik und in naher Zukunft auch eine individualisiertere Therapieplanung zur Folge haben.
Was hat sich durch die Weiterentwicklung der MR/PET-Systeme in der Diagnostik verbessert?
Die Vorteile dieser neuen Methode, die noch nicht zur klinischen Routine gehört, sind eine geringere Strahlenexposition der Patienten im Vergleich zu PET/CT Geräten und ein höherer Gewebekontrast. Zudem haben wir die Möglichkeit multiparametrische Daten hinsichtlich der Morphologie, Diffusion, Perfusion, Spektroskopie und Metabolismus zu erhalten. So ist beispielsweise bekannt, dass sowohl die MRT als auch die PET/CT bei der Rezidivdiagnostik im Kopf-Halsbereich oder beim Lymphknotenstaging Unzulänglichkeiten aufweisen wie mangelnde Sensitivität und/oder Spezifizität. Andererseits haben Studien gezeigt, dass verschiedene prätherapeutische MRT- und PET-Parameter die Prognose von Kopf-Hals-Tumoren positiv beeinflussen. Deshalb erhofft man sich jetzt von der MR/PET eine deutliche Verbesserung der Diagnostik und in naher Zukunft eine individualisierte Therapieplanung.
Worin bestehen die Herausforderungen der MR/PET bei HNO-Tumoren?
Da gibt es einige – sowohl technischer Natur als auch bei den klinischen Parametern. Einige Beispiele: PET hat eine vergleichsweise niedrige räumliche Auflösung, die Untersuchungszeit bei der MRT wiederum ist recht lang bei der Kopf-Hals und Ganzkörperbildgebung. Beide Verfahren sind anfällig für Bewegungs-, Schluck- und Atmungsartefakte, Suszeptibilitätsartefakten und geometrische Distorsionen von Diffusionssequenzen. Auch die Quantifizierung der PET mittels MRT statt CT ist zurzeit noch ein Problem.
Was sind die Tücken bei HNO-Tumoren?
Die häufigsten HNO-Tumoren sind Plattenepithelkarzinome. Wohlbekannte Ursachen sind natürlich Tabak- und Alkoholkonsum. Neuerdings hat man allerdings erkannt, dass virale Infektionen – wie HPV und EBV – und genetische und immunologische Dispositionen wichtige ätiologische Faktoren sind. Vermutlich deshalb beobachten wir weltweit eine Zunahme von Kopf-und Halstumoren, insbesondere bei jüngeren Patienten. Kopf-und Hals Karzinome sind zudem durch eine hohe Morbidität – wegen der auf engstem Raum „dicht gepackten“ anatomischen Strukturen – und durch eine hohe Mortalität bei fortgeschrittenen Stadien gekennzeichnet. Eine weitere Besonderheit ist die Tendenz dieser Tumoren, schnell Lymphknotenmetastasen zu entwickeln. Auch das häufige Vorkommen von synchronen oder metachronen Zweittumoren beispielsweise in der Lunge, im Ösophagus, oder im Kolon und die Entwicklung von submukösen und somit klinisch schwer zu erkennenden Rezidiven ist ein Problem. Aus diesem Grund sind die präzise Diagnose von Primär- und Rezidivtumoren im Frühstadium und die Identifikation von prognostischen Faktoren wesentliche Elemente.
Was ist Ihre Botschaft an die niedergelassenen Kollegen, die in der Regel nicht mit MR/PET-Systemen arbeiten?
Da MRT und PET/CT komplementäre und im klinischen Alltag gut verfügbare Untersuchungsmethoden sind, sollten bei komplexen Fragestellungen und insbesondere bei bestrahlten und operierten Patienten beide Techniken in Kombination eingesetzt
werden.
Wird die MR/PET bei HNO-Tumoren schon im Klinikalltag genutzt?
MR/PET-Systeme sind noch nicht klinische Routine und ihre Überlegenheit bei Kopf-und Halstumoren muss noch im Rahmen von prospektiven Studien mit guter histologischer und klinischer Korrelation gezeigt werden. Einige Forschungsgruppen haben erste Resultate publiziert, größere Serien werden in naher Zukunft erwartet. Für eine effiziente Nutzung und für die Etablierung dieser Technologie im Klinikalltag sind meiner Meinung nach folgende Voraussetzungen zwingend: eine ausgezeichnete interdisziplinäre Zusammenarbeit von Radiologen, Nuklearmedizinern, HNO Spezialisten, Strahlentherapeuten und Pathologen, die langjährige Erfahrung in der Kopf- und Halsdiagnostik, klar definierte klinische Protokolle mit strikten Patienteneinschlusskriterien, interdisziplinäre Tumorboards, eine internationale Zusammenarbeit und Kosten-Nutzenanalysen.
PROFIL:
Prof. Minerva Becker studierte Medizin an der Universität Bern. Sie besuchte zudem das Armed Forces Institute of Pathology (AFIP) in Washington DC, sowie die Duke University in Durham, North Carolina. Sie ist Leiterin des Bereichs HNO und Gesichts-Radiologie am Genfer Universitätsklinikum. Die Radiologin ist Präsidentin der European Society of Head and Neck Radiology (ESHNR). Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Bereiche Onkologie von Kopf und Hals, die pathologischen Bedingungen des Kehlkopfes, der Speicheldrüsen und der Schädelbasis sowie die Umsetzung neuer bildgebender Verfahren. Prof. Becker wurde mit über 20 nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet.
12.02.2015